Der Selbstmord eines Spekulanten

■ Der ehemalige Daimler-Finanzchef Gerhard Liener verlor Millionen im Immobiliengeschäft. Seine Depressionen waren dem Vorstand seit Jahren bekannt

Stuttgart (taz) – Der Selbstmord des ehemaligen Daimler-Benz- Vorstandsmitglieds Gerhard Liener steht offenbar im Zusammenhang mit fehlgeschlagenen Immobilienspekulationen in den neuen Bundesländern. Der 63jährige Liener, der am Donnerstag in seinem Haus im bayerischen Rottach- Egern tot aufgefunden wurde, soll hoch verschuldet gewesen sein. Das geht aus einem Bericht der Stuttgarter Zeitung hervor. Der frühere Finanzvorstand der Daimler- Benz AG hatte mehrere Millionen Mark bei Bauspekulationen verloren.

Gerhard Liener litt offenbar schon seit Jahren unter Depressionen. Nicht zuletzt deshalb wurde er im Mai dieses Jahres vorzeitig als Finanzchef des Konzerns zurückgezogen. Auf der letzten Bilanzpressekonferenz von Daimler-Benz, in der er noch als Finanzchef auftrat, konnte Liener im April dieses Jahres kaum noch zusammenhängend sprechen und stand offensichtlich unter Medikamenteneinfluß.

Nach seinem unfreiwilligen Abgang „bedankte“ sich Liener bei seinem ehemaligen Chef Edzard Reuter mit einem an die Presse lancierten 76 Seiten starken Dossier, das Reuter Charakterschwäche und Unfähigkeit bescheinigte. Sein Angriff wirkte jedoch wie ein Bumerang: Vier Tage nach Erscheinen der Vorwürfe im Manager-Magazin war nicht Reuter, sondern Liener alle seine noch bestehenden Beraterverträge los. Diese hatten dem Frühpensionär immerhin 1,5 Millionen Mark im Jahr eingebracht. Damit er aus Wut nicht noch mehr ausplauderte, zahlte ihm der Konzern rund drei Millionen Mark „Schweigegeld“.

Liener zog sich beleidigt in sein Ferienhaus nach Rottach-Egern zurück. Als Nestbeschmutzer wurde er von seinen früheren Freunden und Kollegen geschnitten. Selbst auf dem Golfplatz am Tegernsee soll er nach der Affäre weitläufig umspielt worden sein.

Gegenüber der taz äußerte sich Liener im Juli dieses Jahres enttäuscht darüber, wie er von seinen ehemaligen Vorstandskollegen behandelt wurde: „Das muß man erst einmal verkraften.“

28 Jahre lang hatte Liener „beim Daimler“ geschafft. Dabei wollte man ihn zunächst gar nicht in dem Konzern. Dreimal mußte sich der promovierte Volkswirt in Stuttgart bewerben, bis man ihn schließlich einstellte. Dann aber ging es rasant bergauf mit ihm: vom Abteilungsleiter über den Abteilungsdirektor bis zum Vorstandsmitglied des Konzerns. Als Zuständiger für die Finanzen des Unternehmens fädelte Gerhard Liener den Gang von Daimler an die New Yorker Börse ein. Als sogenannter Außenminister öffnete er dem Konzern viele Türen, vor allem nach Asien und Südamerika.

Als Liener Anfang der neunziger Jahre, wie viele andere Spekulanten auch, mehrere Millionen Mark in das gewinnversprechende Immobiliengeschäft der ehemaligen DDR steckte, konnte er noch nicht ahnen, daß er neben seinem Vorstandsposten bald auch noch das ganze Geld verlieren würde. Beides war offenbar zuviel für ihn. Matthias Mantzen