: Die Wahrheit, nichts als sie
■ Schwierige Wahl für Minister Schmidbauer
Was ist besser: als Lügner zu gelten oder als unfähig? Vor dieser schwierigen Wahl steht nach seiner gestrigen Pressekonferenz der Minister im Kanzleramt und Koordinator der Geheimdienste, Bernd Schmidbauer. Denn entweder war ihm das seltsame Handels- und Transportgeschäft seiner Untergebenen in Moskau und anderswo unbekannt geblieben – dann taugt er nicht als oberster Koordinator der Schlapphüte –, oder er hat nur zu gut koordiniert – dann lügt er.
Das Schöne an Verschleierungsmanövern ist ihre Vergeblichkeit. Die schurkischen Akteure handeln wie unter Geständniszwang, sie können einfach nichts für sich behalten. Die Nachrichtenpromiskuität gibt den Diensten, die nach dem Ende des Kalten Krieges ohnehin schon von Identitäts-Anämie befallen sind, den Rest. Wo hat man je gehört, daß ein Geheimdienst, der etwas auf sich hält, ein Faktum bestätigt oder dementiert? Daß er, zu dessen elementaren Aufgaben die Desinformation gehört, auf der Wahrheit seiner Verlautbarungen besteht?
Auf keinen Fall darf sich die zutage getretene Glaubwürdigkeitslücke zum Abgrund erweitern. Deshalb wird Schmidbauer seinen Schlapphut nehmen und wegen Koordinierungsschwäche gehen müssen. Aber leider glaubt niemand an diesen Entlassungsgrund, selbst wenn es wahr sein sollte. Aber was ist das Gegenteil der Lüge? Die Wahrheit? Weit gefehlt! „Wenn das Gegenteil der Lüge die Wahrheit wäre, stünden wir besser da. Denn wir müßten nur das Gegenteil dessen annehmen, was der Lügner gesagt hat. Aber das Gegenteil der Wahrheit hat tausend Gesichter und ein unermeßliches Feld.“ (Montaigne) Keine Sorge, die Wahrheit kommt doch ans Licht (s.o.). Schließlich können nicht alle Beteiligten an dem Plutoniumgeschäft zum Schweigen gebracht werden. Das hätte nicht mal Stalin geschafft – und was ist Kohl dagegen? C.S.
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