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■ Frankreichs Gewerkschaften gruppieren sich neuWer spricht für die Streikenden?

Die Streiks in Frankreich stellen nicht nur die Politik der Regierung in Frage. Sie haben auch die Verhältnisse im Inneren der Arbeiterbewegung zum Tanzen gebracht. Zwei verfeindete Gewerkschaftsführer näherten sich an, eine Gewerkschaftschefin wurde zur Unterstützerin der Regierung, und eine Gewerkschaftsbasis streikte gegen den Willen ihrer Führung.

Jahrzehntelang schien die Aufgabenteilung der Gewerkschaften in Frankreich unverrückbar: Die CGT war der „Transmissionsriemen“ der kommunistischen Partei. Die 1947 mit US-amerikanischem Kapital gegründete FO sollte die kommunistische Bewegung spalten. Die CFDT war Ansprechpartnerin der Sozialisten. Und der Rest des Proletariats verteilte sich auf konfessionelle und autonome Gewerkschaften oder organisierte sich überhaupt nicht.

Die parteilichen Spaltungen der Gewerkschaftsbewegung lebten auch dann fort, als die historischen Grundlagen für sie gefallen waren. In den letzten Monaten allerdings deutete sich eine Trendwende an. Da verweigerten Gewerkschaften eine Wahlempfehlung für irgendeinen Präsidenten. Interessierten sich zunehmend für Themen außerhalb ihrer Betriebstore.

Der Streik, den sie nicht geplant hatten, hat die großen Gewerkschaften in eine neue Position gezwungen. CGT-Chef Louis Viannet und FO-Chef Marc Blondel, die beide um dieselbe Basis konkurrieren, mußten sich öffentlich die Hand schütteln, gemeinsam demonstrieren und oft wortgleiche, radikalere Erklärungen abgeben. CFDT-Chefin Nicole Notat, die für ihre Gewerkschaft eine Rolle als französischer DGB sucht, erlebte, wie sie von Mitgliedern ihrer eigenen Organisation öffentlich ausgebuht wurde und immer mehr an den Rand der Ereignisse geriet.

Mit dem bevorstehenden „Sozialgipfel“ stellt sich die Frage, wer die „legitimen Wortführer“ der Streikenden sind. Der Premierminister bevorzugt Nicole Notat, die nie einen Streik gegen seinen Plan gewollt hat. Der organisierte Teil der streikenden Basis bevorzugt Viannet, Blondel und die anderen Chefs. Aber wer spricht für die Masse der Streikenden, die überhaupt nicht gewerkschaftlich organisiert sind?

In den vergangenen Wochen haben sie täglich ihre eigene Stärke erlebt. Sie haben erfahren, daß sie die Politik des Landes bestimmen können. Unter diesem Druck für die Regierung – aber auch für die Gewerkschaften – findet der „Sozialgipfel“ statt. Dorothea Hahn/Paris

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