■ Einkaufstour im virtuellen Warenhaus
: Von Menschen und Mäusen

Washington (taz) – Meine fünfjährige Nichte wünscht sich zu Weihnachten einen Delphin. Aus Stoff natürlich. Sie hat zwar schon einen, der bei einem kräftigen Knuff in den Bauch fiept wie Flipper. Doch der, erklärte sie mir vor kurzem, fühlt sich einsam, also braucht sie einen zweiten. Im Vergleich zu den Nintendo- und Ninja- Orgien, in denen die Kinder in meiner Nachbarschaft in freudiger Erwartung des 1995. Geburtstages des Christkindes schwelgen, erschien mir der Stoff-Delphin als ausgesprochen sympathischer Wunsch. Also zog ich Samstag in die Shopping Mall – mittlerweile auch „Erlebnisraum“ genannt.

Ich hasse Shopping Malls. Es gab natürlich keine Stoff-Delphine, weil sämtliche Spielzeugläden in dieser Kaufrausch-Höhle nur noch Stofftiere oder Figuren aus Hollywoodfilmen verkaufen. Aber keine Delphine. „Flipper“ ist marktforschungsmäßig mega-out. Also ordnete ich mich nach vier Stunden Dauerberieselung mit amerikanischer Weihnachtsmusik und Rempeleien mit meinen glasig dreinblickenden MitbürgerInnen wieder in den Stau Richtung Innenstadt ein.

Es blieb nur eine Alternative: Der Gang in das virtuelle Einkaufszentrum. Ran an den Computer, eingeloggt und ab nach „Digital Washington“ in den „Global Market“, Abteilung Geschenkideen. Ich suchte nach dem Spielzeugmenü, doch meine Maus zerrte hartnäckig nach rechts oben: Haushalts- und Küchenwaren. Einmal geklickt – und auf dem Bildschirm erschien der „Presto Power Pop Microwave Multi-Popper“, bei dem es sich nicht etwa um die neueste Erfindung der Waffenindustrie handelt, sondern um ein Gefäß zur Zubereitung von Popcorn für 24,97 Dollar.

Meine Maus war längst weitergeflitzt zum „Automobile Air Cleaner“. Gereinigt wird damit nicht etwa die Luft, die der Autofahrer mit seinem Fahrzeug verpestet, sondern die Luft, die er in selbigem einatmet. Deshalb kostet das Gerät auch nur 11,95 Dollar. Der nächste Artikel tauchte trotz mehrfachen Anklickens nur verschwommen und mit zwei Querbalken auf dem Bildschirm auf: Der „Kleine Pollonex Handmasseur“ mit verstellbarem Massagekopf, zwei Geschwindigkeiten und mehreren Oberflächen – glatt, genoppt, gerillt ... 39,97 Dollar plus Versandkosten. „Für alle Muskelgruppen.“

„Wo gibt's hier die verdammten Stofftiere“, fluchte ich. Doch meine Maus war längst in der „Books and Videos“-Abteilung verschwunden. Wobei der Name nur zu Hälfte stimmt, weil es dort nur Videos, aber keine Bücher gibt. Fast hätte ich schon meine Kreditkartennummer eingetippt, als sich mir im „Romance“-Regal „Vom Winde verweht“, die „Deluxe“-Ausgabe, darbot. Wiegt „drei Pfund“, frohlockte der Werbetext. Und dauert drei Stunden und 52 Minuten. 89,98 Dollar. So viel war mir Clark Gable dann doch nicht wert. Schier überwältigend erschien die Auswahl unter den Fitness-Videos: Yoga mit Ali McGraw, „Total Body Conditioning“ aus dem Hause „Nike“ sowie die klassische „Stahl-Serie“ für die moderne Frau: „Stählerne Bauchmuskeln“, „Stählerne Schenkel“ – und als Krönung: „Stählerne Pobacken“. Jedes Video ist für 9,95 Dollar zu haben und wiegt dafür auch nur ein Pfund.

Ich aber ließ die „Bums of Steel“ links liegen, fing meine Maus wieder ein und dirigierte mich mit stählernem Finger in die virtuelle Spielzeughandlung. „Diese Abteilung ist zur Zeit leider leer“, flimmerte es zurück. „Scheißladen“, dachte ich und klickte mich aus dem virtuellen Erlebnisraum ins Bett. Immerhin taten meine Füße nicht weh. Andrea Böhm