: Ein Engel kommt niemals allein
■ Insgesamt 1.000 Weihnachtsmänner sind dieses Jahr in der Stadt unterwegs. Von Weihnachtsfrauen wird Flexibilität erwartet: Mal sind sie Engel, dann wieder Christkind
Das Telefon bei der Weihnachtsmannvermittlung der Tusma ist seit Wochen besetzt. Weihnachtsmänner sind ein Dauerbrenner. Die MitarbeiterInnen der selbstorganisierten studentischen Jobvermittlung machen in der Vorweihnachtszeit etliche Überstunden, um die rund 500 Weihnachtsmänner und achtzig Engel strategisch günstig auf das ganze Stadtgebiet zu verteilen.
Der Weihnachtsmannverleih ist in Berlin eine Domäne der StudentInnen. Heinzelmännchen und Tusma vermitteln insgesamt an die tausend Weihnachtsmänner, die von November bis Ende Dezember im Einsatz sind. Am Heiligen Abend absolviert jeder Weihnachtsmann an die zwölf Einsätze. „Frauen als Weihnachtmänner setzen wir nur vereinzelt in der Vorweihnachtszeit ein“, erklärt Bernhard Band vom Tusma-Weihnachtsmannbüro, „speziell bei Nikolausfeiern, Vereinsfesten oder Werbeeinsätzen kommt das als Gag gut an.“ Sobald aber Kinder dabei sind, läßt die Begeisterung bezüglich der weihnachtlichen Gleichberechtigung schnell nach. Am 24. Dezember ist der Weihnachtsmann ein Mann. „Bei den herkömmlichen Familienfeiern wird auf Tradition viel Wert gelegt. Dem passen wir uns an“, so der 34jährige Maschinenbaustudent. „Je nachdem, woher die Familien stammen, wünschen sie sich manchmal auch ein Christkind“, berichtet Birgit Brehloh, die zusammen mit ihrem Studienkollegen Band die Oberaufsicht im Weihnachtsmannbüro führt, „die Frauen müssen da flexibel sein. Manchmal sind sie Engel, manchmal Christkind.“
Bei aller Ungleichheit zwischen Weihnachtsmann, Weihnachtsfrau und Weihnachtsengel: Bei der Bezahlung sind alle gleich. 45 Mark kostet es, sich eine dieser Personen zu bestellen. Da aber die Engel, in der Regel Frauen, allein keine privaten Hausbesuche machen, sind sie auf die Begleitung ihrer männlichen Kollegen angewiesen, das heißt, das Vergnügen ist doppelt so teuer. Oder anders gesagt: Viele Engel gibt es nicht. Es soll in der Vergangenheit auch schon vorgekommen sein, daß ein männlicher Weihnachtskollege aufgrund seines Geschlechts oder des Autos, das er fuhr, mehr Gehalt als seine Kollegin für sich beanspruchte. „Wenn wir davon erfahren, kann er nächstes Jahr wieder allein zur Bescherung vorfahren“, erklärt Weihnachtsmannchef Band trocken.
Seit Ende Oktober organisieren Bernhard Band und Birgit Brehloh den weihnachtlichen Schauspielerverleih. Beide sind schon länger im Weihnachtsgeschäft: er als ehemaliger Weihnachtsmann, sie als Weihnachtsengel. Anfang Dezember wird für die Anfänger in der Branche ein zweistündiger Schnellkurs im richtigen Benehmen angeboten: Der Knigge-Kurs für Weihnachtspersonal beinhaltet unter anderem Kleidungsvorschriften und das richtige Verhalten vor Ort. Während die Männer in ihrer Kleidung sehr konservativ sind (roter Anzug oder Mantel, schwarzer Gürtel und Stiefel, Bart), haben die Engel eine begrenzte gestalterische Freiheit (goldenes oder weißes Kleid, Flügel und Schuhe nach Geschmack).
Alle Weihnachtsmänner und Engel müssen sich vor der Bescherung mit den Eltern absprechen, damit unter dem Baum jeder mit seinem Namen angeredet, an den richtigen Stellen gemahnt und gelobt werden kann. Auch ein kleines Repertoire an Weihnachtsliedern und Gedichten ist nicht schlecht. Denn wie soll den Kiddis erklärt werden, daß der Weihnachtsmann seine eigenen Lieder nicht beherrscht? „Wir achten sehr darauf, den Kindern keine Angst vor dem Engel oder vorm Weihnachtsmann zu machen“, betont Bernhard Band, „wenn sie die Gedichte können, ist das wunderbar, aber wenn nicht, ist es auch okay.“ Das Schöne an dem Weihnachtsjob ist für ihn neben dem guten Stundenlohn, den Menschen eine Freude zu machen: „Überall bist du der Höhepunkt des Abends. Das ist fast wie ein Rausch.“ Sonja Schmitt
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