: Großer Beginn, trauriger Abgang
Heute endet Lech Walesas Amtszeit als Präsident Polens. Der Ko-Architekt von Polens neuer Demokratie war später, als skrupelloser Taktiker der Macht, hauptsächlich mit ihrem Abriß beschäftigt ■ Von Christian Semler
Unerwartet taucht er auf, ergreift umstandslos das Wort, redet staccato, ohne sich ein einziges Mal zu verhaspeln, bittet, droht, reißt die nötigen Witze – und wiegelt ab. Lódź, Sommer 1981, Büro der regionalen Solidarność-Leitung: Der Hungermarsch von 50.000 Frauen durch die Petrikauer Strasse ist schon unterwegs; wie soll die Revolution sich noch selbst begrenzen? Einige Wochen später, auf dem Kongreß der Solidarność in Gdańsk, wird der berühmte Aufruf an die Arbeiter Osteuropas verabschiedet, für ihre Rechte und Freiheiten zu kämpfen – und damit Breschnew direkt ins Gesicht gespuckt. Walesa, Chef der Solidarność und ehemaliger Elektriker, arbeitet verzweifelt daran, die Verbindung zwischen der sich radikalisierenden Gewerkschaft und der sich zersetzenden Staatsmacht unter Strom zu halten. Dann der Kurzschluß am 13. 12. 1981: Kriegszustand, Internierung, und hinter dunklen Gläsern verkündet General Jaruzelski im Fernsehen „Noch ist Polen nicht verloren.“
Lech Walesa hatte im August 1980 einen Traum wahr gemacht, von dem die Revolutionäre im Westen sich längst verabschiedet hatten: eine sich selbst organisierende, selbst verwaltende Bewegung der ArbeiterInnen im Bündnis mit der demokratischen Intelligenz. Es war Walesas enge Beziehung zu den Arbeitern nicht nur an der Lenin-Werft, sondern in der ganzen Küsten-Dreistadt, es war seine Fähigkeit, zu improvisieren, zuzuhören, Beschlüsse notfalls umzuwerfen, die den ursprünglich engen Rahmen des Streiks sprengte, zur Bildung des überbetrieblichen Streikkomitees führte und zur Übernahme demokratischer Forderungen in den Streikkatalog. Es war die Zusammenarbeit mit den „Experten“ der katholischen und linksdemokratischen Intelligenz – Mazowiecki, Geremek, Strzelecki –, die den Erfolg der Verhandlungen mit der polnischen Staatsmacht und die Zulassung der ersten freien Gewerkschaft im Realsozialismus möglich machte.
Wer diese Tage, die die Welt des Realsozialismus erschütterten, wer Walesas Rolle in diesem bewegenden Schauspiel vergißt oder mindert, wird niemals gerecht über jenen Mann urteilen können, der jetzt unter so schäbigen Umständen das Präsidentenpalais verläßt. Walesa selbst ist es gewesen, der seinen Mythos zerstört und der der polnischen Demokratie, zu deren Gründern er doch gehörte, schweren Schaden zugefügt hat. Während in den 80er Jahren noch seine flexible, dabei aber prinzipienfeste Haltung wesentlich zum Erfolg des „Runden Tisches“ 1989 beitrug, zeigte schon das Jahr 1990 den PolInnen einen Walesa, dessen Ambitionen und dessen Sendungsbewußtsein in keinem Verhältnis zu seinem politischen Gestaltungsvermögen standen.
Nötig wäre gewesen, das Solidarność-Lager über die ersten Jahre einer bitteren, opferreichen Übergangsperiode zusammenzuhalten. Aber mit seinem „Krieg an der Spitze“ sprengte Walesa dieses Lager auseinander und trug dazu bei, daß der notwendige Prozeß der Parteibildung unnötig forciert wurde und in jeder nur denkbaren Sackgasse landete. Sicher trägt die demokratische Intelligenz, die die ersten beiden Solidarność-Regierungen stellte, ihre Mitschuld an dieser Katastrophe. Allzu arrogant, allzu selbstsicher, ohne die Mitwirkung der „Betroffenen“ zu suchen, ließ sie die Walze der wirtschaftlichen Sanierung los. Die ArbeiterInnen waren ihr nur noch hinderliche Objekte der Umgestaltung, sie galten als selbstsüchtig, konservativ. Walesa hingegen ließ die Menschen an einem magischen Versprechen teilnehmen. Er, der es liebte, von sich in der dritten Person zu reden, wollte „die Dinge in Ordnung bringen“. „Beschleunigung“ der Reform – aber in welcher Richtung? – wurde zu seinem Zauberwort. Damals sagte er: „Ich weiß nicht, ob ich wirklich ein Führer bin. Ich weiß nur, daß ich das Gefühl für die Dinge in den Knochen habe. Wenn die Herde schweigt, weiß ich, was ich zu sagen habe“.
Während des Präsidentenwahlkampfs von 1990 spielte er auf infame Weise mit antisemitischen Emotionen: „Jeder soll sagen, wer er ist. Die Linken sollen sich als Linke bekennen, die Juden als Juden.“ Dieser Satz zielte auf seinen Konkurrenten Mazowiecki, dem es einfach zuwider war, das Gerücht zu dementieren, er stamme von jüdischen Vorfahren ab. Walesa hatte es erreicht, daß der Präsident noch vor einer verfassungsgebenden Nationalversammlung gewählt wurde. Einmal im Amt, drang er auf die Errichtung eines strikten Präsidialsystems. Diese fatale, von ihm zu verantwortende Zeitplanung brachte es mit sich, daß die wichtigsten Verfassungsfragen zum Spielball taktischer Machtkalküle verkamen.
Das verabschiedete Verfassungsteilstück, die „kleine Verfassung“, legte er extensiv zugunsten der präsidialen Vollmachten aus. „Falandisierung des Rechts“ nannten die Polen den Versuch, mit Hilfe des skrupellosen Rechtsprofessors Falandysz die Kontrolle über die „Ministerien der Macht“ (Äußeres, Inneres und Verteidigung) und über das Fernsehen an sich zu reißen. Ihren Höhepunkt erlebte diese Arbeit der Aushöhlung mit Walesas Versuch, das Budget 1994 zu vereiteln, um danach den Sejm auflösen zu können. In seinem Tadelsantrag sagte damals der alte Weggefährte Bronislaw Geremek: „Die Demokratie ist in Gefahr, und die Ursache dieser Gefährdung sind Sie, Herr Präsident.“ Und Karol Modzelewski, auch er demokratischer Oppositioneller seit den 60er Jahren, schrieb: „Der Rechtsstaat ist bereits untergraben. Das Belvedere (damals der Präsidentensitz) und die Regierung betrachten Polen als Spielplatz, bei dem der gewinnt, der am unfairsten spielt.“
Die Kanzlei des Präsidenten verkam zu einem überdimensionierten Hofstaat, wo Kazimierz Wachowsky, Walesas ehemaliger Fahrer, nach Belieben waltete. Der Präsident verhandelte mit Gott in einer Kapelle, die im Präsidentenpalais ausschließlich für ihn eingerichtet wurde. Das wurde nicht goutiert. Ebensowenig wie das ständige Geharke, das sich der Präsident mit der seit Ende 1993 amtierenden Linksregierung lieferte. Seine Popularitätskurve sank ins Aschgraue.
Walesa schien am Ende, rappelte sich zum Erstaunen der Welt wieder auf und unterlag schließlich doch im Kampf um eine zweite Amtszeit. Dem Land hat er ein schweres Erbe aufgebürdet. Indem er für den Fall von Kwaśniewskis Sieg die „Rückkehr der Kommune“ beschwor, hat er die Gesellschaft in eine sterile Polarisierung getrieben. Die demokratischen Institutionen aber hat er geschwächt zurückgelassen.
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