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Videogucken schwergemacht

■ Programmierungen mit dem legendären Showview-System: Ein Erfahrungsbericht mit unfreiwilligen Unterbrechungen

Es ging bereits zügig auf Weihnachten zu, als RTL2 für eine weniger schöne Bescherung sorgte und David Lettermans „Late Show“ sehr kurzfristig in die frühen Morgenstunden abschob. Wer da aber annahm, dank der angeblich so verläßlichen Showview- Programmierung werde sich der entsprechend konditionierte Videorecorder schon an die geänderten Sendezeiten gewöhnen und jedenfalls pünktlich starten, wurde bitter enttäuscht: unsortierte Spielfilmfetzen zogen am Auge des entgeisterten Betrachters vorüber, aber weit und breit keine Spur von Lettermans hämischem Schandmaulgrinsen.

Man hätte es wissen können, denn das von Sendern und Programmzeitschriften gerühmte Showview-System versagte nicht zum ersten Mal. Gerade die „Late Show“ erscheint oftmals nur als Fragment. Aber auch Spielfilme oder Sitcoms wie „Dream On“ werden bei RTL2 sehr nachlässig mit jenen Markierungen versehen, die, so jedenfalls war mal die Idee, den Rekorder auf die Sekunde genau in Gang bringen sollten. Schlimmstenfalls bekommt man nur die Hälfte der gewünschten Sendung aufs Band. Darauf angesprochen, reagierte Christoph Mainusch, der Programmchef des aufstrebenden Jungsenders, mit Verwunderung: „Das höre ich zum ersten Mal. Gut, daß Sie mir das sagen. Das werde ich an die Technik weitergeben.“ Also sprach er im Juni, aber bei der Technik scheint bis heute keine Meldung angekommen zu sein.

Bei anderen privaten Anbietern sieht es keineswegs anders aus. Kabel1 schneidet zum Beispiel von der Sitcom „Seinfeld“ am Anfang und Schluß die Bühnenmonologe des Titelhelden ab. Eine Stellungnahme der Verantwortlichen muß an dieser Stelle leider entfallen – die Kabel 1-Presseabteilung wußte trotz zweimaliger Anfrage nicht zu sagen, wer im Hause für den technischen Bereich zuständig ist.

Bei Pro7 und RTL kommt es bei der Ausstrahlung von Spielfilmen regelmäßig zu zeitlichen Verschiebungen, so die Quintessenz eines groß angelegten Tests der Zeitschrift Video im April des vergangenen Jahres (abgedruckt in Heft 7/95). Die Stichprobe, die auch Sat.1 einschloß, ergab: Daran hat sich wenig geändert. Das Ergebnis kommt nicht überraschend, denn bei der Quotenabrechnung finden die Videonutzer keine Berücksichtigung, sie spielen also bei der Auswertung der Zuschauerzahlen, dem Erfolgsbarometer der kommerziellen Sender, keine nennenswerte Rolle und können demnach guten Gewissens vernachlässigt werden.

Für Aufnehmer vulgo Rezipienten bieten die Öffentlich-rechtlichen nach wie vor den besten Service: Hier starten die per Showview programmierten Bandmaschinen auch bei geänderten Sendeabläufen beinahe immer pünktlich. Mehr noch: Beim ZDF werden die Schaltsignale während der Primetime sogar so gesetzt, daß sie die Aufnahme für die Dauer der Werbeblöcke unterbrechen. Harald Keller

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