■ Außenminister Andrej Kosyrew – geht, kommt, geht ...
: Wende der Wegzeichen?

Der Streit um die Entlassung Andrej Kosyrews ist nahezu so alt wie die Amtsperiode dieses gewitzten Politikers. Seine Position als „Westler“ stand von Anfang an fest. Sie bezeichnete nicht nur die pragmatische Politik der Öffnung nach Westen, sondern markierte auch einen ideologischen Standort.

Kosyrew war und ist freilich kein bedingungsloser Anhänger der „Verwestlichung“. Er hat es nie unternommen, den Weltmachtanspruch seines Landes kritisch am Stand der materiellen Zivilisation zu messen und von daher eine nur aufs Waffenpotential gegründete Weltmachtpolitik abzulehnen. Seit die Debatte über die Grundorientierungen der russischen Außenpolitik eingeläutet wurde, betonte er den Weltmachtstatus Rußlands und definierte die „nationalen Interessen“ Rußlands auch in geopolitischer Hinsicht.

Nur hat Kosyrew nie einen Zweifel daran gelassen, daß es zur Politik der Öffnung nach Westen für ihn keine prinzipielle Alternative gibt. Für ihn war die „eurasische“, Rußlands Singularität betonende Orientierung nichts als bodenlose Träumerei. Die Übergangsperiode, die Markt, Privateigentum und eine funktionierende Öffentlichkeit (die „bürgerliche Gesellschaft“) hervorbringen soll, gebietet auch nach Kosyrews Meinung zwingend eine enge Kooperation mit den westlichen Industriestaaten. Diesem Primat der Innenpolitik folgt auch Jelzin. Kosyrews Amtsenthebung würde daran nichts ändern – vorläufig.

Denn diese Grundausrichtung der russischen Politik ist keineswegs unumkehrbar, so wenig wie der Transformationsprozeß Rußlands in Richtung bürgerlicher Gesellschaft unumkehrbar ist. Dies trotz aller Lamentos über die Wiedergeburt des russischen Großmachtchauvinismus nicht zu erkennen, macht das Elend westlicher Rußland-Politik aus. Vom Beginn der Debatte über die „Osterweiterung“ der Nato an haben die westlichen Staaten es verabsäumt, Rußland einen definierten Platz im Rahmen eines europäischen Sicherheitssystems einzuräumen. Sie haben die russischen Vorschläge zur Ausgestaltung der OSZE beiseite gewischt, weil sie in ihnen nur den Versuch sahen, die Nato zu neutralisieren. Sie haben sich der Frage nicht gestellt, welche institutionellen Formen der Zusammenarbeit sie Rußland anbieten müssen, damit das Land die Nato-Erweiterung „schluckt“. Es handelt sich trotz aller entgegenlaufenden Rhetorik um nichts als Triumphalismus. Deswegen könnte Kosyrews baldiges Verschwinden in die Murmansker Gefilde doch ein Wegzeichen sein – in die falschen Richtung. Christian Semler