: Stromopoly um die Bewag
Experten warnen vor Verkauf der Bewag an Stromkonzerne: Gefahr für Berlins Klimapolitik. Bündnis mit Hamburger HEW als Ausweg? ■ Von Bernhard Pötter
Peter Meyer war verwirrt. Die Diskussion unter den Experten werde immer komplizierter, so daß „normale Politiker einfach überfordert sind“. Benötigt werde ein Gutachten, um Transparenz in die Sache zu bringen. Das bringe auch die nötige Zeit, um die anstehende Entscheidung zu überdenken.
Peter Meyer ist nicht irgendwer, sondern der umweltpolitische Sprecher der SPD-Fraktion. Die anstehende Entscheidung ist der geplante Verkauf von weiteren Anteilen der Bewag. Und diese Entscheidung, die von den mindestens ebenso überforderten anderen 205 Mitgliedern des Abgeordnetenhauses demnächst zu treffen sein wird, ist nicht revidierbar und könnte die Energiepolitik Berlins in zehn Jahren schwerwiegend beeinflussen. Denn wenn weitere Anteile der Bewag an die großen Stromkonzerne Preag und Bayernwerk verkauft werden, fürchten jedenfalls die Grünen ein energiepolitisches Desaster: „Nach und nach werden die Berliner Kraftwerke abgeschaltet, die Kraft-Wärme- Kopplung wird kaputtgemacht, und Berlin kauft den billigen Strom aus Atomkraftwerken und Großkraftwerken aus dem Netz“, malt der umweltpolitische Sprecher der Grünen, Hartwig Berger, ein Horrorszenario. „Die Bewag“, fürchtet auch Fridtjof Spreer vom saarländischen Umwelt- und Energieministerium, „wird zum reinen Verteilerknecht.“ Mit einer eigenständigen Berliner Energiespar- und Klimaschutzpolitik wäre es dann vorbei.
Ursache der Aufregung sind die Pläne von Finanzsenator Elmar Pieroth (CDU), die Hälfte der bisherigen Landesanteile an der Bewag von 50,8 Prozent zu verkaufen. Mit den daraus erwarteten 1,2 Milliarden Mark will Pieroth einen Teil des kurz nach der Wahl entdeckten Haushaltsloches von zusätzlich 4,3 Milliarden stopfen. Verkauft werden sollen die Anteile bis auf eine Sperrminorität von 25 Prozent plus einer Aktie zuerst an die Landesbank Berlin, die dann Interessenten für diese Anteile suchen soll. Als Käufer stehen die PreussenElektra (Preag) aus Hannover und das Bayernwerk aus München bereit, die bereits jetzt mit jeweils 10 Prozent der Kapitalanteile und mit jeweils 14 Prozent der Stimmanteile an der Bewag beteiligt sind.
Dieser geplante Verkauf alarmiert die Umweltschützer und Finanzpolitiker. Denn die beiden Konzerne sind Töchter der Stromgiganten Veba (sie hält 100 Prozent Anteile an der Preag) und der Viag (97 Prozent der Anteile am Bayernwerk), die zusammen mit dem Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerk und der Dortmunder VEW zusammen drei Viertel der öffentlichen Stromversorgung in Deutschland kontrollieren. Außerdem sind Preag und Bayernwerk bereits „Vorlieferanten“ der Bewag: Die Preag liefert bereits 6 Prozent des Berliner Stroms, weitere 12 Prozent kommen von der Vereinigten Energiewerke AG (Veag) aus dem Berliner Umland. Bei der Veag wiederum haben die Preag-Mutter Veba (26 Prozent), das RWE (26 Prozent) und die Bayernwerk- Mutter Viag (23 Prozent) das Sagen. Bei einem weiteren Verkauf der Bewag an Preag und Bayernwerk besteht also die Gefahr der Selbstbedienung: Die Stromgiganten säßen dann noch stärker als bereits jetzt auf beiden Seiten des Verhandlungstisches.
Doch ob, wann und an wen verkauft werden soll, ist unklar. Bisher sei noch nichts entschieden, erklärte SPD-Fraktionschef Klaus Böger. Er sehe dafür bisher weder eine Mehrheit im Senat noch im Abgeordnetenhaus. Der SPD-Parteitag Mitte Dezember sorgte für Verwirrung: Das Plenum beschloß einen Antrag, der sich schlichtweg „gegen die Absicht ausspricht, weitere landeseigene Anteile der Bewag zu verkaufen“. Einen anderen Antrag, in dem die SPD Rahmenbedingungen für einen möglicherweise „aus haushaltspolitischen Gründen unabwendbaren Verkauf“ aufstellte, verwies der Parteitag seltsamerweise an die Verhandlungskommission, die die Koalitionsgespräche mit der CDU führt. Dennoch, so Parteisprecher Rudolf Hartung, gelte der Beschluß der Partei, die Bewag nicht zu verkaufen, „bis zu einem möglichen neuen Beschluß auf einem neuen Parteitag“.
Die Grünen unterdessen wollen den geplanten Verkauf mit Hilfe des Bundeskartellamtes zu Fall bringen. In einem Schreiben an die Bundesbehörde haben sie um eine Einschätzung des Falls gebeten. Die aber wird es nicht geben, erklärte Klaus Wieneke von der „Beschlußabteilung für Energiewirtschaft“ des Bundeskartellamts, weil Vorab-Prüfungen nicht möglich seien. Wieneke hält mit seiner Meinung allerdings nicht hinter dem Berg: Eine weitere Beteiligung der Preag stoße auf große kartellrechtliche Bedenken. Schließlich seien die Stromversorger des Umlands – die Mevag in Potsdam, das „Oderspree-Energieversorgungsunternehmen“ und die „Energieversorgung Müritz- Oderhaff“ – allesamt Preag-Töchter, die kaum Wettbewerb mit einer Preag-dominierten Bewag suchen würden. Eine Beteiligung des Bayernwerks sei wenig dramatisch, weil die „direkte Konkurrenzsituation“ fehle. Allerdings müßte dann geprüft werden, inwieweit die Beteiligung der Mutterkonzerne von Preag und Bayernwerk am Bewag-Vorlieferanten Veag (s.o.) zu einer „marktbeherrschenden Stellung“ der Konzerne in und um Berlin führe.
„Ich warne dringend vor einer weiteren Beteiligung der Vorlieferanten“, meint dagegen der saarländische Energieexperte Fridtjof Spreer. Die Stromkonzerne, die bundesweit Kraftwerkskapazitäten von 90.000 Megawatt horten und selbst an kalten Tagen nur zwei Drittel davon absetzen können, suchten dringend nach weiteren Absatzmärkten und drängten einzelne Stadtwerke dazu, Strom bei ihnen zu kaufen, statt ihn selbst zu produzieren. „Die Preag hat immer versucht, die Gesellschaften, an denen sie beteiligt war, von der Stromerzeugung wegzubiegen.“ Das aber hieße für Berlin den Bezug von mehr Strom aus Kraftwerken, die mehr Kohlendioxid in die Luft blasen als die Berliner Kraftwerke. Das ehrgeizige Klimaschutzziel, bis 2010 insgesamt 25 Prozent der CO2-Emissionen von 1990 zu vermeiden, käme in Gefahr. Ohnehin hat Berlin trotz des Niedergangs der Industrie-Dreckschleudern im Ostteil und der Umrüstung von Kohleheizung bis 1993 den CO2-Ausstoß erst um 6 Prozent gesenkt. Weitere Reduzierungen werden immer schwieriger und teurer.
In den nächsten 15 Jahren steht in Berlin die Modernisierung von Kraftwerken an, die etwa 15 Prozent der Gesamtleistung aufbrächten. „Wenn man sieht, daß die Veag im Umland große Überkapazitäten aus ihren Braunkohlekraftwerken hat, dann könnte sich die Bewag bei einem starken Einfluß von Preag und Bayernwerk dazu entschließen, diesen billigen Strom zu kaufen und die eigenen Anlagen stillzulegen“, meint Christian Matthes vom Öko-Institut Berlin. Das hieße, der Strom käme aus Braunkohle-Kraftwerken, die im Vergleich zu gasbefeuerten Berliner Kraftwerken mit Kraft-Wärme-Kopplung die vierfache Menge des Treibhausgases CO2 in die Atmosphäre blasen. Berlins Verpflichtung zur Klimapolitik wäre Makulatur.
Die Sperrminorität von 25 Prozent plus einer Aktie preist Finanzsenator Pieroth als Garantie für die „Einflußmöglichkeit des Landes auf die Unternehmenspolitik der Bewag“. Daher solle die Landesbeteiligung „auf das Maß zurückgenommen werden, das für die gewünschte politische Einflußnahme erforderlich ist“. Einflußnahme auf die Klimapolitik der Bewag durch das Land ist demnach nicht gewünscht: Denn die Sperrminorität sei laut Aktiengesetz eigentlich nur dazu gut, Kapitalerhöhungen, Anteilsveränderungen oder Fusionspläne des Unternehmens zu verhindern, meint Nikolaus Richter vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Fragen der Energiepolitik würden mit Mehrheit im Vorstand beschlossen. Da nütze eine Sperrminorität des Landes herzlich wenig.
Die Experten raten dem Senat, nicht die Fehler anderer Kommunen wie Bremen oder Hannover zu begehen und unter Zeitdruck einen Verkauf der Bewag übers Knie zu brechen (siehe Kasten rechts). Auch gebe es alternative Finanzierungsmöglichkeiten (siehe Kasten links). Auf keinen Fall aber, so Spreer, dürfe an die Vorlieferanten verkauft werden. Berlin solle sich andere Partner suchen, die keinen Strom in Berlin absetzen wollten.
Für einen Verkauf hat Nikolaus Richter einen Vorschlag parat, der einen Ausweg aus dem Dilemma von Haushaltssanierung und Klimapolitik darstellen könnte: Da auch der Hamburger Senat plant, Anteile der Hamburgischen Electricitätswerke AG (HEW) zu verkaufen, liege doch eine „Verschränkung“ nahe: Die Bewag kauft für 1,1 Milliarden Mark Aktien der HEW, die HEW kauft für 1,1 Milliarden Anteile der Bewag. Die HEW hat bereits Interesse an einem Einstieg in die Bewag geäußert. Der Vorteil: Die Länder bekommen Geld in die Haushaltskassen, die Zeche zahlen Bewag und HEW. Vertraglich festgelegt werden müßte allerdings ein gemeinsames Energiesparkonzept und das Verbot, die Anteile des jeweils anderen Unternehmens an die Stromkonzerne weiterzuverkaufen. Hindernisse auf dem Weg dahin sind laut Richter nicht nur die umweltpolitischen Bauchschmerzen in Berlin bei einer Beteiligung am Atomstromer HEW (Krümmel und Brunsbüttel), sondern auch die politische Unwägbarkeit der Berliner und Hamburger Senatskoalitionen. Schließlich würden auch die Stromkonzerne wohl kaum ruhig zusehen, wie ihnen zwei kapitale Brocken wie Bewag und HEW durch die Lappen gingen. Informiert sind die Konzerne über die Bewegungen der Bewag auf jeden Fall: Schließlich ist der Vorstandsvorsitzende der Preag, Hans Dieter Harig, gleichzeitig Aufsichtsratsvorsitzender der Bewag.
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