: Passion eines Dichters
Federico Garcia Lorca und seine Heimatstadt Granada: Ein engagierter Stadtführer zu den Stätten seiner Kindheit, seines literarischen Wirkens und seines Martyriums als Opfer des Faschismus ■ Von Klaus Jetz
Granada, Juli 1936: In Spanisch- Marokko und auf den Kanaren erheben sich die Generäle gegen die Spanische Republik, der Funke des Aufstands springt auf Andalusien über, in Sevilla schließt sich General Queipo de Llano Francos Truppen an, und in Granada ist es der Zivilgouverneur Valdés, der die Verteidiger und Anhänger der Republik ab dem 20. Juli bombardieren oder foltern und hinrichten läßt. Eine Woche zuvor kehrt der bekannteste Dichter Spaniens, Federico Garcia Lorca, wie jeden Sommer aus Madrid in seine Heimatstadt Granada zurück. Dort wird er von dem Putsch überrascht.
Der Hispanist Ian Gibson, irischer Abstammung, mittlerweile aber spanischer Staatsbürger und granadinischer Lokalpolitiker, hat sein Leben der Erforschung von Lorcas Werk und Vita gewidmet. Schon in den sechziger Jahren forschte er in Granada und den Dörfern der fruchtbaren Vega nach Spuren des spanischen Dichters. Damals stieß er auf heftige Ablehnung und Feindseligkeiten. Lorca sei das Opfer einer Intrige unter Homosexuellen geworden, so hieß es im damaligen Spanien des „Führers von Gottes Gnaden“.
In mühsamer Detailarbeit, in unzähligen Gesprächen mit Freunden und Verwandten des Dichters sowie mittels eines detektivischen Scharfsinns gelang es Gibson damals, die wahren Hintergründe der Ermordung Lorcas aufzudecken. Dieser war als liberaler Autor und Freigeist, vehementer Anhänger der Republik und nicht zuletzt als Homosexueller vom Franco-Regime liquidiert worden. Die Aufständischen fürchteten den politisch-kulturellen Einfluß der Intellektuellen und Künstler, ihr vernichtendes Urteil über den bewußten Rückfall in die spätmittelalterliche Barbarei, die Anknüpfung an die katholischen Könige, an die „Kultur des Todes“. Und diejenigen, die mehr Glück hatten als Lorca, Miguel Hernández oder Manuel Fernández Montesinos, gingen bald nach Argentinien oder Mexiko ins Exil.
Es mußte schon ein Forscher von außen kommen, um die Wahrheit über Lorcas frühen Tod ans Licht zu bringen. Über den Autor, den er liebt und dessen Werk er verehrt, hat Ian Gibson mehrere Bücher publiziert, unter anderem seine (in der spanischen Ausgabe) zweibändige Biographie, die wohl die umfangreichste Monographie über Lorca und sein Werk darstellt. Seine These vom engagierten Autor als Opfer des Faschismus wird heute allenfalls noch von wenigen spanischen Rechtsextremisten in Zweifel gezogen, die in Lorca sowieso nur den maricón sehen, der seiner gerechten Strafe zugeführt wurde.
Unter dem Titel „Lorca's Granada – A practical guide“ publizierte Gibson vor drei Jahren einen hervorragenden Stadtführer, den der Kasseler Jenior & Pressler- Verlag nunmehr in seine Andalusien-Reihe aufgenommen hat. Auf zehn Touren begleitet Gibson den interessierten Andalusienreisenden an die Stätten von Lorcas Kindheit, seines literarischen Wirkens und seines Martyriums. In dem Kapitel „Tod eines Dichters“ (Tour 8) schildert Gibson noch einmal die letzten Stunden im Leben des Dichters. Er lädt den Leser/ Reisenden dazu ein, den makabren letzten Weg Lorcas zu beschreiten, um die Stätten seines Leidensweges zu besuchen („Dauer mit dem Auto etwa zwei Stunden“): vom ehemaligen Falange-Hauptquartier, hinaus aus der Stadt, in das zehn Kilometer entfernte Dorf Viznar, wo Lorca zusammen mit zwei Anarchisten im Morgengrauen des 19. August 1936 hingerichtet und an Ort und Stelle, wie bereits Hunderte zuvor, verscharrt wurde.
Das Buch leistet jedoch mehr als eine reine Spurensuche: Es birgt eine Fülle von Informationen, Details und Anekdoten über die wechselvolle Geschichte Granadas, welches bis 1492 das letzte maurische Königreich auf iberischem Boden war, über dessen Literaten, Musiker und Maler, dessen städtebauliche Sünden und architektonische Wunder sowie die nicht minder atemberaubenden Naturschönheiten der Gegend. Ebenso eindeutig wie Lorca urteilt Gibson über die so verschiedenen, weil extremen Mentalitäten der granainos. Lorca sprach von dem großen Unglück der Wiedereroberung Granadas durch die katholischen Könige, die eine einzigartige Kultur vernichtet haben, „um einer armen, feigen Stadt Platz zu machen, in der sich heute die verkommenste Bourgeoisie ganz Spaniens herumtümmelt“. Nur sie allein sei zu solchen Schandtaten wie die Verbannung des Darro aus dem Stadtbild oder den Abriß jahrhundetalter Straßenzüge fähig. Immer wieder kritisiert auch Gibson in seinen Tourenbeschreibungen die Stadtväter Granadas („Ein Wunder, daß die Alhambra noch immer steht“), die auch heute noch zu ähnlichen Schandtaten bereit seien, insbesondere, wenn es um Gebäude, Plätze, Cafés und Theater geht, die in Beziehung zu Lorcas Biographie stehen.
Andererseits beschreibt Gibson Lorcas tiefe Verwurzelung mit der heimischen Vega oder seine Sympathie für die Gitanos des Sacromonte und des Albaicin, aus deren unerschöpflichem Fundus an Traditionen, Mythen und Bräuchen der Dichter in seinem Werk immer wieder schöpft. Mehrere Protagonisten seiner ländlichen Dramen- Trilogie („Bluthochzeit“, „Bernarda Albas Haus“, „Yerma“) lassen sich auf reale Vorbilder zurückführen: Menschen aus der Vega, die der Autor seit seiner Kindheit kannte oder über deren Schicksal ihm berichtet wurde. Die Kirchen und Klöster sowie die Höhlenwohnungen oder die typisch granadinischen cármenes fanden ebenso Eingang in sein dichterisches Werk wie mythische oder historische Gestalten von Stadtvierteln, die der Alhambra gegenüberliegen.
Seit mehr als 30 Jahren arbeitet Gibson über Lorca. Heute gilt er als der angesehenste Kenner auf dem Gebiet. Den riesigen Fundus an Materialien nutzte er nicht nur dazu, den bisher interessantesten Stadtführer durch Granada zu schreiben. Das Buch ist ein ebenso zuverlässiger Führer durch Lorcas Gesamtwerk.
Ian Gibson: „Ein Stadtführer – Auf den Spuren von Federico Garcia Lorca“. Verlag Jenior & Pressler, Kassel 1995, 223 S., 34 DM
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