■ Querspalte: Menschen, Menschen, Menschen
Verschämt verabschieden wir uns mit allerlei „Jahresrückblicken“, wie wir Medienleute so sagen. Im allgemeinen geht es dabei ums Allgemeine („Völkermord, Hoffnung, Grabesstimmen, Geldhaie“ – Zeit); im besonderen, d. h. in der Bild-Zeitung, geht's ums Besondere. „Menschen, Menschen, Menschen“.
„Die traurigste Mutter“, die beim schwersten Verkehrsunfall dieses Jahres in einer Sekunde ihre vier Kinder und den Ehemann verlor, wurde in Bild Frau des Monats Oktober. Der Gubener Fleischer Gerhard H. (42), der angeblich die kleine Yvonne (12) umbrachte, wurde „Bestie des Monats Juli“. Drei Perleberger Rhesusäffchen, denen „Irre“ bei lebendigem Leib den Bauch aufschlitzten, prägten den April, Tierpfleger Horst Klemm aus Frankfurt/Oder diente den beiden Tigern „Schirka und Charly“ im August als „gefundenes Fressen“, die Berliner „Kunststudentin Käthe E.“ wurde im September vo einem Stahlträger erschlagen: „Unglück des Jahres“. Während das „abgetakelte Schickimicki-Monster“ Konstantin Wecker wegen falscher Drogen kein Mitleid erwarten darf, ruft Bild dem „Torkeler des Jahres“, unserem fidelen Harald Juhnke, der wegen Alk und Christiane (18) im Januar letzten Jahres für allerlei Unterhaltung sorgte, ein kollegiales „Mach's nicht noch einmal“ zu, um dann hoffnungsfroh ins neue Jahr zu schauen: Bislang verweigerte sich Yan Yan (9), die Pandabärin, die Herr Diepgen von China nach Berlin gebracht hatte, zwar dem Werben von Bao Bao (16), doch wir können hoffen: „Im Frühling wird die Lady heiß. Und dann ... geht's rund.“
Bis dahin macht man das Beste, was man so machen kann und hängt nichtstuerisch mit Leuten rum und schläft zwischendurch oder auch nicht und verkündet auch gleich noch den neuen Trend, der das nächste Jahr prägen wird: Alle werden höflich wie Axel Schulz und ganz besonders superangenehm und freundlich sein. Dafür gibt es in Berlin schon ein paar Anzeichen. Die Schaffner tragen lustige Mützen und sagen neuerdings „bitte“. Detlef Kuhlbrodt
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