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Kunst zum drinnen Wohnen

In unmittelbarer Nähe des Reichtstags gibt es eine orginelle und preiswerte Alternative zu den teuren und öden Investorenhotels: Das „Künstlerheim Luise“ – eine Wohngalerie auf Zeit  ■ Von Peter Lerch

Eine vergilbte Leinwand mit unbestimmten Formen und wüster Farbgebung ziert die Toreinfahrt. Im finsteren Altbautreppenhaus hängen Zeichnungen, die man mühelos einem Sechsjährigen zuordnen könnte.

Eindrucksvoller ist dagegen die schwarzrotgoldene Fahne, eine Folie, in die eine Art skelettierter Ratte eingearbeitet ist. Doch selbst die professionelleren Gemälde und Collagen, die das über 160 Jahre alte Gebäude schmücken, dürften niemanden zu einem Diebstahl animieren. Denn die eigentliche Kunst des Hauses Luisenstraße 19 in Mitte manifestiert sich in den individuell gestalteten Gästezimmern des von Künstlern für Künstler gestalteten Heims.

In einer von dem Berliner Maler Ulrich Grüter gestalteten Kammer sind – in der Art eines monumentalen Mosaiks – Gemäldefragmente auf die Wand montiert, die Gesichter und Körperteile darstellen. Im spartanischen, beinahe zellenartigen „Reichstagszimmer“ ist lediglich ein trapezförmiger Spiegel angebracht, in dem der rund zweihundert Meter entfernte Reichstag zu sehen ist, während das Fenster an der Stirnseite des Raumes die schwermütige Aussicht auf eine marode Klinkersteinruine freigibt. Der Italiener Toto Cariello hat die Wände des von ihm gestylten und „Transumanza“ genannten Zimmers mit Phantasietieren bemalt und den Fußboden mit einem halben Hundert farbiger Schuhe geziert, die von einem Gitter aus Baustahlstreben fixiert werden. Da von jedem Treter nur ein Exemplar vorhanden ist, dürfte die Kammer besonders Einbeinigen Freude machen.

Ob Sira Ulrichs „Wer a sagt“ oder Heike Ruschmeiers „Die Schlaflosen“, verspielt und flippig sind alle elf Räume des Künstlerheims Luise, zu dessen augenfälligen Absonderlichkeiten vor allem der Mangel an Ausstattung in Form von Möbeln gehört. Dafür sind die Kosten für eine Übernachtung mit 35 Mark außerordentlich günstig. Gekocht und gewaschen wird in Gemeinschaftsräumen, und der Hotelservice beschränkt sich lediglich auf das Anheizen der Kachelöfen.

Insbesondere die Lage in der Friedrich-Wilhelm-Stadt, zwischen Friedrichstraße und Schiffbauerdamm, Berliner Ensemble und der „Möwe“, ist ein geradezu idealer Standort für das Projekt „Künstlerheim“, das nach den Vorstellungen seiner Initiatoren Thorsten Modrow und Mike Buller eine Synthese aus Hotel, Künstlertreff und Galerie sein soll. Eine Galerie auf Zeit. Denn die Räume werden im September dieses Jahres völlig neu gestaltet.

Die Idee dazu kam Thorsten Modrow bereits 1989. Der gelernte Maurer bemerkte bald nach Beginn seiner Berufsausausbildung, daß er „zwei linke Hände“ hatte. „Delegieren und organisieren lag mir einfach mehr“, erinnert sich der mittlerweile 33jährige. Nach einem Zwischenspiel als Feuerlöschgeräteprüfer bekam er nach einigen Jahren ehrenamtlicher Tätigkeiten in Jugendclubs eine Festanstellung im Ostberliner Club „JoJo“, wo er 1988 Mike Buller kennenlernte.

Mike, ursprünglich gelernter Mechaniker, der über das Managment von Rockgruppen ins „JoJo“ gekommen war, teilte Thorstens Idee, eine Stätte zu schaffen, in der Künstler nicht nur wohnen, sondern auch arbeiten, kommunizieren und einen Salon führen können. Wie lange, ist jedoch ungewiß. Längst sind die Nachbarhäuser zu Schleckteilen im Berliner Immobilienpoker geworden. Doch zunächst haben die umtriebigen Künstlerfreunde von der Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) einen fünfjährigen Nutzungsvertrag für das Gebäude bekommen. Mehr noch: Inzwischen hat die WBM den beiden Organisatoren ein weiteres Gebäude in direkter Nachbarschaft zur Verfügung gestellt.

In dem Haus Luisenstraße 21 – „Luise II“ – befindet sich die Professorensuite, deren einzigartige Aussicht auf unübertreffliche Art und Weise das Zusammenwachsen von Ost- und Westeuropa symbolisiert: Aus dem in Richtung Westen weisenden Fenster – zu DDR-Zeiten zugemauert – sieht man wie gesagt den Reichstag, während man aus den Fenstern auf der rechten Seite über verwitterten, abgeblätterten Hinterhofhäusern die S-Bahn vorbeirauschen sieht.

Hier in „Luise II“ befindet sich auch das von der 20jährigen Fotodesignstudentin Rita Richter gestaltete Zimmer „Sündenfall“, dessen laszives Ambiente mit viel Gardinenstoff und schwarzweißen Aktaufnahmen an den Wänden zustande kommt. Leider steht das Gebäude innerhalb der Bannmeile des Reichstages, und es ist absehbar, daß es bereits in einigen Monaten den drohenden Baumaßnahmen des Tiergartentunnels zum Opfer fallen wird.

Zur Zeit sind die meisten der insgesamt 19 Zimmer in den beiden Häusern belegt. Zum Teil auch mit Dauermietern, zu denen auch ein Quartett jugoslawischer Bauarbeiter aus Düsseldorf zählt. Für die Arbeiter ist die künstlerische Gestaltung der Räume gewiß nicht so wichtig wie der niedrige Mietzins und die Nähe zu ihrer Arbeitsstelle an der S-Bahn. Aber das ist weder für Mike noch für Thorsten ein Problem. Im Gegenteil: Sie sind ganz stolz darauf, daß die Malocher nach den Weihnachtsferien ins Künstlerheim zurückkommen wollen.

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