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Grippe Von Fanny Müller

Zwei Tage nach Weihnachten war es dann soweit. Eigentlich wollte ich die diesjährig fällige Grippe auf das neue Jahr verlegen, weil die Inventur in der Firma erst im Januar ist, aber das Schicksal hat es anders gewollt. Das erste, was man machen muß, wenn die Grippe am Horizont heraufzieht, ist einkaufen. Krimis, Kreuzworträtselhefte, große Flasche „meta-virulent“, Pralinen und Tempotaschentücher. Gut ist es auch, viel zu schlafen und Radio und Telefon ans Bett zu stellen. Natürlich hat kein Schwein angerufen. Außer Herrn Behrmann, meinem Abteilungsleiter. Dem krächzte ich was in den Hörer, da war er zufrieden. Der glaubt nur, daß man krank ist, wenn irgendwas mit der Stimme ist. Da kann man klar und deutlich sprechen, aber gerade das Bein abgefahren gekriegt haben, das glaubt der nicht.

Dafür klingeln meine Bekannten immer dann, wenn ich gerade mal mit Mühe eingedöst bin, bringen Mandarinen vorbei, die ich furchtbar finde, und geben gute Ratschläge. Ich solle heiß und kalt duschen, ich solle nicht heiß und kalt duschen, ich solle mit Kamille inhalieren, ich solle auf keinen Fall mit Kamille inhalieren, sondern mit Salbei, ich solle an nichts denken, ich solle mal darüber nachdenken, welche Probleme ich hätte ... ha! Damit könnte ich Seiten füllen! ... Und so weiter. Außerdem stellen sie dumme Fragen in der Richtung, ob ich nicht selber Schuld hätte an meiner Erkältung. Selber schuld, selber schuld! Klar, ich hätte Heiligabend vielleicht nicht dieses Glitzerteil mit den Spaghettiträgern und die neue seidene Unterwäsche anziehen sollen. Aber was sollte ich machen, wenn Harry mir vorher stundenlang in den Ohren liegt mit „Zieh bloß nicht dieses Teil an!“ Man kann sich ja nicht ständig die eigene Persönlichkeit unterminieren lassen. Wenn es nach Harry gegangen wäre, hätte ich mit Skisocken und einem Norwegerpullover an der festlich geschmückten Tafel gesessen. Wie hätte das ausgesehen! Jetzt ruft er natürlich auch nicht an und sitzt hundertprozentig mit hochgezogenen Augenbrauen bei sich zu Hause rum. Recht geschieht ihm!

Die Apotheken-Umschau, die sie mir in der Apotheke mitgegeben haben, ist auch keine große Hilfe. Da geht es in der Januar- Ausgabe um das trockene Auge, Schwerhörigkeit und Alzheimer. Ich habe eine feuchte Nase, und hören kann ich sehr gut, wenn die nebenan ihre Spezialtherapie gegen die Grippe austoben, und Alzheimer ist nicht direkt mein Problem. Das ist wohl eher das Problem des Radiosprechers in der Sendung „Medizin heute“, der sprach von Selbsthilfegrippe. Da durften auch Betroffene anrufen, welche aber vorwiegend Schulkinder waren, die sich hoffnungsvoll und interessiert zeigten an der flächendeckenden Ausbreitung der Krankheit.

Eben rief doch noch einer an. Ein befreundeter Cartoonist, der mir zur Aufheiterung Witze erzählen wollte; solche, die mit „Kommt 'ne Frau zum Arzt und sagt ...“ anfangen sollten. Ich schlug ihm vor, sich Witze auszudenken, die mit „Kommt ein Arschloch zum Proktologen ...“ anfangen. Da legte er auf. Jetzt wieder ein bißchen schlafen. Es klingelt. Die Nachbarin von oben möchte mir ein paar Vitamine vorbeibringen. Wenn ich wieder gesund bin, kann ich einen Mandarinenstand aufmachen.

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