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Konvergenzkriterien

■ betr.: „Notopfer Europa“, taz vom 8. 12. 95

1. Als Stabilitätsgrenze für die Inflation werden 3,3 Prozent angegeben. Das ist falsch. Gemäß Art. 109 J Nr. 1 erster Spiegelstrich EGV in Verbindung mit Art. 1 des Protokolls Nr. 6 über die Konvergenzkriterien dürfen die Inflationsraten der Mitgliedsstaaten während eines Zeitraums von einem Jahr das Mittel der Inflationsraten der drei Mitgliedstaaten, welche in jenem Zeitraum hinsichtlich der Preisstabilität die besten Ergebnisse erzielen, nicht um mehr als 1,5 Prozent übersteigen.

Das bedeutet konkret: Die „besten“ Länder hinsichtlich der Preisstabilität sind derzeit Finnland, Belgien, Frankreich und Deutschland. Finnland hat eine Inflationsrate von 0,3 Prozent, Belgien von 1,2 Prozent und Frankreich und Deutschland haben jeweils 1,8 Prozent Inflation. Der Mittelwert hiervon ist 1,1 Prozent. Daher dürfte derzeit, wenn die Währungsunion jetzt stattfände, jeder Mitgliedsstaat nur eine Inflation von 2,6 Prozent haben.

2. Vier harte Kriterien müsse jeder Staat erfüllen, so der Artikel. Zwei Kriterien der dort erwähnten sind aber weich, nämlich das Haushaltsdefizit und die Verschuldung. Zunächst sei festgestellt, daß es gemäß Art. 104 C Nr. 6 EGV gar kein objektives Krtierium für ein übermäßiges Defizit gibt. In dieser Vorschrift wird nämlich lediglich auf eine zukünftige Entscheidung des Rates der Europäischen Union verwiesen, die dieser nach „Prüfung der Gesamtlage“ trifft. Ob ein Staat ein übermäßiges Defizit hat, liegt also nicht in erster Linie an objektiven Kriterien, sondern an einer Entscheidung des Rates. Natürlich ist der Rat in seiner Entscheidung nicht völlig frei. In der Tat hat er sich an den von der taz genannten Kriterien zu orientieren. Diese sind aber nicht absolut, da der Rat auch Art. 104 C Nr. 2 EGV, also bestimmte Entwicklungstendenzen des jeweiligen Staates berücksichtigen muß.

Das bedeutet konkret hinsichtlich des Haushaltsdefizits: Der Rat kann auch bei einem Haushaltsdefizit von mehr als drei Prozent des BIP festellen, daß kein exzessives Defizit vorliegt, wenn sich das Verhältnis zwischen Haushaltsdefizit und BIP des betreffenden Staates erheblich und laufend verringert hat und dem Wet von drei Prozent nahekommt, oder wenn die Überschreitung der drei Prozent als vorübergehende Ausnahmesituation erscheint.

Hinsichtlich der Verschuldung bedeutet das oben Gesagte: Der Rat kann auch bei einer 60 Prozent des BIP übersteigenden Verschuldung feststellen, daß kein übermäßiges Defizit vorliegt, wenn sich das Verhältnis zwischen Verschuldung und BIP des betreffenden Staates hinreichend rückläufig ist und sich dem Wet von 60 Prozent rasch genug nähert.

Wo ist also das Kriterium des übermäßigen Defizits angesichts dieser schwammigen Formulierungen „hart“? Es sei zur Illustration auch angemerkt, daß die Kommission in einem Bericht vom November 1995 der Auffassung war, daß Irland angesichts der Verringerungstendenz der Differenz zwischen Verschuldung und BIP trotz einer Verschuldung von 83 Prozent kein übermäßiges Defizit hat!

3. Schließlich hat die taz ein Konvergenzkriterium schlicht vergessen: Gemäß Art. 109 J Nr. 1 dritter Spiegelstrich EGV müssen die Staaten während eines Zeitraums von zwei Jahren die normalen Bandbreiten des Wechselkursmechanismus des Europäischen Währungssystems einhalten. Seit einer Entscheidung des Rates von 1993 liegen diese Bandbreiten bei +/- 15 Prozent eines bestimmten Zentralwerts. Bernhard Kreße, Paris

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