Gemütliche Zeiten an Bord

In Lauenburg liegen die Schiffe still auf der Elbe, rechts und links vom Eis umschlossen. Die Schiffer nehmen's gelassen und tun Unerledigtes. Und die Wasserpolizei dämmert in der Amtsstube dahin  ■ Von Jan Feddersen

Im Dämmerlicht sieht der Fluß aus, als hätte eine Künstlergruppe ihn in einem Anfall von Natura Art mit Eisschneebällchen verzieren wollen. Die weißen Tupfer schwimmen gemächlich, doch stetig der nächsten Schleuse bei Geesthacht an der Grenze nach Hamburg entgegen: Eisschollen. Lauenburg an der Elbe. Eine 11.700-Einwohner-Stadt, die im Winter einen besonders gemütlichen Eindruck macht, gerade am Ufer des Flusses, wo einige Altstadtreste noch den Modernisierungswahn der siebziger Jahre überstanden haben. An den Stehtresen des Kiosks an der schmucken Elbstraße unterhalten sich Hafenarbeiter über das Wetter: „Bald geht hier gar nichts mehr“, sagt einer. Der andre bleibt ruhig und nimmt einen Schluck Bier: „Montag soll's wieder tauen.“

Vorläufig jedoch ist es noch kalt in Lauenburg, wie es überhaupt in Norddeutschland so winterlich ausschaut wie seit zehn Jahren nicht mehr. In Hamburg labt sich die Öffentlichkeit an dem Versprechen, am Wochenende den größten Stausee der Stadt, die Außenalster, betreten zu dürfen. In Lauenburg, 70 Kilometer stromaufwärts, verursacht der Dauerfrost nur eines: Stille.

Polizeihauptmeister Harald Schulz von der Polizeidirektion Süd im Wasserschutzpolizeirevier 6 hat es sich kommod eingerichtet in seiner Wache und nur noch die Schreibtischlampe eingeschaltet – so wirkt es noch gemütlicher. Er und seine Kollegen haben faktisch nichts zu tun während dieser Tage. „Drei Tschechen sind eben noch runtergekommen“, sagt Schulz, „die haben vielleicht stärkere Motoren.“ Und unterliegen womöglich schärferem Konkurrenzdruck. Kähne deutscher Reedereien haben den Verkehr eingestellt. Der Lauenburger Hafen liegt voll mit Binnenschiffen: Vor drei Tagen war die Elbe noch eisfrei, vorgestern hatte sich das Eis angekündigt, als sich an den Ufern die ersten Eisspuren festsetzten wie eine Kruste. Dicht sind auch der Elbeseitenkanal, der den Fluß mit dem Mittellandkanal verbindet, und der Elbe-Lübeck-Kanal, der kleineren Binnenschiffen die Fahrt beispielsweise von Berlin nach Lübeck ohne Umweg über den Nord- Ostsee-Kanal erleichtert.

Selbst Eisbrecher kommen nicht mehr durch. 20 Schiffe haben festgemacht am Ende der Stecknitz, wie der Seitenarm der Elbe heißt, der bis Lübeck schon vor Jahrhunderten erstmals zum Kanal ausgebaggert wurde. Die meisten Schiffsführer haben die Schotten dichtgemacht und sind nach Hause gefahren – viele von ihnen, die auf der Elbe fahren, wohnen in der Nähe. Nur die Schiffe mit den blauen Laternen auf dem Deck, klärt Polizeihauptmeister Schulz auf, sind nicht verwaist. Dürfen sie auch nicht. Das blaue Licht bedeutet, daß es sich um Gefahrguttransporter handelt, die rund um die Uhr bewacht sein müssen.

Es ist nicht einfach, die Schiffe zu erreichen. Zwischen der mit reichlich Schnee und Eis bedeckten Schotterpiste und den flachen Schiffen steht ein 900 Meter langer Güterzug. Ihn muß man überwinden, „und dann können Sie gerne aufs Schiff kommen und anklopfen“, sagt Karl-Heinz Rösch, Schiffsführer der TMS „Dettmer 50“. Hätte man sich nicht getraut, aber dann taucht Uwe Gerasch an Deck auf. Gäste sind willkommen, sie bringen Abwechslung in den tranigen Alltag.

Rösch und Kollegen sind kurz vor Einbruch der Dunkelheit in den Lauenburger Hafen eingefahren. Vier Stunden später liegt der Kahn schon, von allen Seiten eingepackt vom Eis, an der Stelle, die er nicht verlassen wird, solange die Elbe nicht eisfrei ist.

Sie sind aus Magdeburg gekommen, leer, um in Hamburg neu zu laden. Doch das kann noch dauern. „Es wird nicht mehr beladen“, sagt Rösch ohne großes Bedauern, „das Risiko ist den Firmen zu groß.“ Bloß keine Unfälle, sie kosten Zeit und bringen nur Scherereien. Das Eis birgt große Gefahren. „Man kann nicht sehen, wie es sich entwickelt.“ So dick sind die Stahlwände der Binnenschiffe nicht, als daß sie nicht vom Mahlen des Eises erdrückt werden könnten. 1985, im letzten großen Winter, mußte stromabwärts kurz vor Hamburg ein zehn Meter hoher Eisschollenberg gesprengt werden, weil er den Deich gefährdete.

Hamburg, siebzig Flußkilometer und damit sechs bis zehn Stunden weiter gelegen, soll nicht der Hafen sein, in dem Rösch überwintern möchte. „Da hat man keine Uferversorgung mit Strom.“ Da sind die Schiffsbesatzungen auf die Aggregate des Schiffs angewiesen. Und die nerven: „Man hört sie nicht, wahrnehmen tut man sie aber.“ Und dann ist Hamburg auch noch tidenabhängig, dann schaukelt es beim Wechsel von der Flut zur Ebbe auf dem Schiff: „Und da weiß man erst recht nicht, was das Eis mit einem macht.“ Lauenburg ist besser, da „liegt man wie in Gottes Schoß“.

Zudem ist die Werft ganz nah, auf der am kommenden Montag das „Baby“, die kleine Schute vor dem eigentlichen Schiff, zum TÜV muß. „Wird problemlos werden“, weiß Rösch schon jetzt, „ist ja erst fünf Jahre alt.“ Und was an Macken noch zu beheben ist, „das machen wir jetzt“. Eiszeit ist für den 43jährigen Mann auch die Gelegenheit, Dinge zu erledigen, „zu denen man sonst nicht kommt“. Sein Kollege Uwe Gerasch war gerade dabei, sich um private Dinge zu kümmern; er selbst war gerade beim Abwaschen in seiner Küche: „Binnenschiffer müssen alles können – nähen, kochen, Motoren putzen, alles in den Griff kriegen, was auf einem Schiff so anfällt.“ Morgen ist der Ölwechsel dran, später soll noch der Maschinenraum ausgeseift werden: „Auch ein Schiff muß aufgeräumt werden wie eine ordentliche Wohnung.“ Hausputz sei ja an sich auch nicht nötig, aber schöner sei es hinterher doch.

Es geht eine seltsame Ruhe aus von dem Schiff, so, als paßte es sich dem Fluß an. Rösch bereitet sich auf seinen Abend vor. Der korpulente Mann weist auf seinen Schreibtisch und sagt, daß auch der Papierkram nicht liegenbleiben darf – und so ein Frost ist die beste Möglichkeit, etwas wegzuschaffen, was sonst in den 14-Stunden-Tag partout nicht hineinpaßt. Aber eigentlich wollte er gerade Fernsehen gucken, die liebste Tätigkeit der drei Männer, wenn sie Freizeit haben. „Explosiv“ läuft gerade auf RTL – und dort ein Bericht über den Mittellandkanal, auf dem für Binnenschiffer nichts mehr läuft: Die Wege nach Berlin sind allesamt geschlossen: „Guck mal“, sagt Rösch, „die liegen auch fest!“

Gott sei Dank arbeitet Rösch nicht als Partikular, als Besitzer eines eigenen Schiffs, der nur auf eigene Rechnung arbeitet und während der Eiszeit 1.000 Mark Umsatzeinbußen täglich hätte. Er ist angestellt, „muß nicht um Entlassung fürchten“, wenn der Kahn mal stilliegt. Und überhaupt: Sonntag geht er in Freischicht. 20 Tage bleibt er dann an Land bei seiner Familie in Vietze, 4 Kilometer von Gorleben entfernt. 40 Tage hat er dann auf seinem Schiff gearbeitet – „es ist so eingerichtet, daß wir alle drei Jahre garantiert Weihnachten zu Hause verbringen können“.

Vom kommenden Montag an wird er auch wieder bekocht, denn an Bord versorgt sich jeder selbst. Man sieht bei Rösch und seinen Kollegen meist Fertiggerichte auf den Tischen stehen: „Die Reederei hat eine Mikrowelle bezahlt.“ Zeit für feinere Küchenarbeiten bleibe nicht, „und ich bin auch nicht so ein großer Kocher“, sagt er. Wenn er sich Muße nimmt, setzt er sich in seine Sitzgruppe, deren Sofa von zwei Kissen gekrönt wird, auf denen eine Katze und ein Hund mit großen Rehaugen eingewebt sind. Es ist sein zweites Zuhause. Abends läuft „Das Boot“, da hat er sich drauf gefreut, „das ist auch so wassermäßig“. Ob ihm das Leben auf seinem Schiff nicht manchmal etwas langweilig vorkommt? „Also, dazu muß man sagen, daß es mit Romantik nichts mehr zu tun hat, was wir hier machen.“

Die Familie fährt bestenfalls mal in den Ferien mit. Mineralöle zwischen Hamburg und Magdeburg hin- und herzutransportieren, immer 36 bis 40 Stunden eine Strecke für ein Gefährt, in dessen Tanks 1.900 Tonnen Benzin paßt, was der Ladung von gut 60 Trucks der 30-Tonnen-Klasse entspricht, das sei ein „Job wie jeder andere“, aber „hier können wir uns mehr einteilen“, da „sagt niemand um sieben, jetzt mußt du anfangen“. Und die Familie sei ja auch nicht aus der Welt. Büro? „Nee, das wäre nix für mich.“ Eis? „Das gehört zum Leben.“