: Computer allein dürfen Sünder nicht strafen
■ Urteil stoppt EDV-Justiz: Nur Beamte dürfen Bußgeldbescheide verfügen
Berlin (taz) – Es hätte alles so praktisch sein können: Raser auf der Autobahn werden mit der Überwachungskamera erfaßt. Automatisch geht das Autokennzeichen in die elektronische Datenverarbeitung. Ebenso maschinell wird der Bußgeldbescheid erstellt. Und schon muß der Flitzer zahlen. Ohne daß je ein Beamter die Daten zu Gesicht bekommen hat. So geht's aber nicht, befand das Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg in einem gestern bekannt gegebenen Urteil. Über eine staatliche Sanktion müsse ein Behördenbediensteter entscheiden. Und dessen Entscheidung müsse irgendwo in der Akte auch sichtbar sein.
Das Urteil des brandenburgischen OLG könnte der Elektronifizierung von Behördenentscheidungen „einen Riegel vorschieben“, erklärte OLG-Sprecher Martin Groß. Das Gericht hob mit seiner Entscheidung ein Urteil gegen einen Autofahrer auf, der wegen Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße von 300 Mark sowie zu einem einmonatigen Fahrverbot verdonnert worden war. Die Behörde hatte sich bei der Erstellung des Bußgeldbescheides der EDV bedient. In dem System wurden alle den Fall betreffenden Daten erfaßt. Der Computer druckte den Entwurf eines Bußgeldbescheides aus.
„Den Akten konnte nicht entnommen werden, ob dieser Entwurf von einem Mitarbeiter gesehen und überprüft, oder ob er dem Betroffenen ohne Prüfung zugestellt worden war“, schilderte Groß. Deswegen erklärte das Gericht den Bescheid für unwirksam. Irgendwo in den AKten hätte sich eine unterschriebene Verfügung eines Sachbearbeiters finden müssen. Ohne eine solche Entscheidung bleibe der Computerausdruck nur ein Entwurf, befand das Gericht.
Allerdings müsse der Bußgeldbescheid selbst nicht unterschrieben werden. Bei jedem Bußgeld wird eine Akte angefertigt, die im Falle von Einsprüchen dann zum zuständigen Amtsgericht geht. Inwieweit sich durch das Gerichtsurteil jetzt ein erneuter Mehraufwand für die Ordnungsämter ergäbe, konnte Groß nicht sagen. Im Ordnungsamt Potsdam hieß es dazu auf Anfrage, Entscheidungen über Bußgeldverfahren würden dort in jedem Fall von Mitarbeitern per Unterschrift verfügt, was dann auch in der Akte sichtbar wäre.
Groß schloß nicht aus, daß möglicherweise in Berufung auf das Brandenburger Urteil auch Rechtsanwälte in anderen Bundesländern jetzt reine „Computerentscheidungen“ anfechten könnten.
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