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„Auf einem Baum zu wohnen beeinflußt einfach deine Denkweise“

■ Star Hart (18) lebt seit drei Monaten im Protest-Camp und demonstriert gleichermaßen gegen Umgehungsstraße und Auto(un)kultur

taz: Wie lange sind Sie schon im Camp in Newbury, Star Hart? Ist das übrigens Ihr Spitzname?

Star Hart: Nein, es klingt wie ein Pseudonym, aber es ist mein richtiger Name. Ich bin 18 und lebe seit drei Monaten im Camp. Ich komme ursprünglich aus London, habe aber in letzter Zeit überall in England und Schottland gelebt.

Wer organisiert die Camps? Sind es „Friends of the Earth“, oder sind sie spontan entstanden?

Das erste Camp wurde schon 1994 von unabhängigen Gruppen aufgebaut, doch dann wurde die Straße erst mal auf Eis gelegt. Da hat sich die Sache hier wieder aufgelöst, die Leute haben dann an Protestaktionen anderswo in Großbritannien teilgenommen.

Kurz vor der Kabinettsumbildung im Sommer hat der damalige Transportminister Brian Mawhinney die Newbury-Umgehung wieder aufs Programm gesetzt. Und weil es das vorerst letzte Projekt ist, haben wir jetzt massenhaft Unterstützung. Ich bin nicht Mitglied bei „Friends of the Earth“, aber wir helfen uns gegenseitig, weil wir dasselbe Ziel haben ...

... die Verhinderung der Umgehungsstraße. Glauben Sie denn, daß Sie das Projekt aufhalten können, wenn es hier zur Schlacht kommt?

Natürlich hat die Gegenseite mehr Mittel, mehr Leute. Es geht uns auch gar nicht so sehr darum, den Bau zu stoppen. Unser Ziel ist es, die Denkweise der Menschen zu verändern. Die Leute müssen sich einfach mal klarmachen, was mit der Welt passiert. Das ist ja kein britisches Problem, sondern ein weltweites. Das ist ein Programm der Selbstzerstörung. Und überall geht es ums Geld. Das ist einfach lächerlich.

Haben Sie denn in dieser Hinsicht hier in Newbury schon etwas erreicht?

Es ist ein langwieriger Prozeß. Ich bin erst seit einem Jahr dabei, aber ich habe in dieser Zeit schon einige Veränderungen feststellen können. Das Fernsehen berichtet mittlerweile wohlwollender über uns, die Zeitungen bescheinigen uns Intelligenz und Phantasie.

Natürlich gibt es auch Blätter wie die Daily Mail, die uns nach wie vor als Krawallmacher und Hippies mit Knopf im Ohr hinstellen wollen. Aber wir haben viel mehr Unterstützung, als wir zuerst dachten. Viele kommen einfach vorbei und machen mit. Es ist wie vor kurzem in Brixton: Die Leute haben einfach die Schnauze voll davon, wie der letzte Dreck behandelt zu werden. Es geht hier nicht nur um eine Straße, es geht um Politik.

Aber viele Menschen, die hier protestieren, sind doch nicht prinzipiell gegen Autobahnen. Sie wollen sie nur nicht vor ihrer Haustür.

Klar, viele sind aus der Mittelschicht. Sie leben in Häusern und haben Autos in ihren Garagen stehen. Das ist auch okay. Versteh mich nicht falsch, es sind wunderbare Leute. Aber wenn man in einem Baum wohnt, ist das ein völlig anderes Konzept. Es beeinflußt deine Denkweise.

Werden die EinwohnerInnen von Newbury nicht die Beine in die Hand nehmen, wenn es hier kracht, und die BaumhäuslerInnen letztlich auf sich gestellt sein?

Nein, das glaube ich nicht. Ich kenne sehr viele Leute in Newbury, und viele davon werden hier sein, wenn die Schlacht beginnt.

Jeden Tag stauen sich in Newbury die Autos auf zehn Kilometern. Die Regierung sagt, die geplante Umgehung ist die einzige Lösung. Und die meisten AnwohnerInnen stimmen mit der Regierung darin überein, daß es hier ein Problem gibt.

Die Regierung hat eine Untersuchung gemacht. Demnach soll das Verkehrsaufkommen dank der neuen Straße angeblich um siebzig Prozent sinken. In Wirklichkeit sind jedoch rund achtzig Prozent Ortsverkehr.

In Oxford hat man mit denselben Argumenten genau so eine Umgehungsstraße gebaut – sie hat nicht den geringsten Unterschied gemacht.

Es geht nicht um Straßen, sondern um die Autos. Sieh dich doch mal um in England: all die wunderschönen Orte in wunderschöner Landschaft mit wunderschönen Häusern. In jeder Auffahrt stehen zwei Autos. Das Problem ist die Autokultur. Meine Freundinnen und Freunde, mit denen ich zur Schule gegangen bin, haben fast alle ein Auto zu Weihnachten geschenkt bekommen. Da haben sie mich zu geilen Spritztouren eingeladen. Das ist doch zum Kotzen.

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