: Sieg auf ganzer Linie
■ FC St. Pauli gewinnt den 10. Ratsherrn-Cup / Carsten Pröpper wird bester Spieler und Torschützenkönig / HSV Vierter / Die Fans ließen sich in Ruhe
Nach dem Turniersieg kannte Uli Maslo keine Bescheidenheit mehr. „Wir waren die beste Mannschaft“, sagte der Trainer des FC St. Pauli, und keiner wollte erntshaft widersprechen. Zweimal hatte der Bundesliga-Neunte im Verlaufe des 10. Ratsherrn-Cups gegen Spartak Moskau gewonnen, beide Male mit 7:3. Deutliche Siege gegen die Mannschaft, die in den vergangenen vier Jahren das Turnier gewonnen hatte. Den Triumph vervollständigte die Wahl des Torschützenkönigs Carsten Pröppers zum besten Spieler der Veranstaltung und der Mannschaft zum fairsten Team.
Den Pauli-Fans war dies Anlaß für ausgelassenes Feiern, was angesichts eines vierten Platzes, den der HSV am Ende belegte, eine besondere Freude war. Die Anhänger beider Seiten schenkten sich verbal während des ganzen Turniers nichts („Asylanten“ versus „Nazis raus“), glücklicherweise blieben körperliche Auseinandersetzungen aber aus. Es gab ja auch ausreichend Erfreuliches zu sehen während dieses Wochenendes, an dem fast 10 000 Zuschauer zum Jubiläumsturnier gekommen waren.
Der neue Goalgetter
Soviel Aufmerksamkeit war Jürgen Gronau schon lange nicht mehr widerfahren. „Na, Goalgetter“, wurde der dienstälteste Profi des FC St. Pauli vom Busfahrer begrüßt, der die Spieler von der Alsterdorfer Halle zum Millerntor kutschieren sollte. Was fünf Tore bei einem Hallenturnier doch alles bewirken können, plötzlich hatten sogar die Fans den 33jährigen wieder auf der Rechnung. Die „Gronau“-Rufe waren jedenfalls nicht zu überhören. Sie erreichten ihren Adressaten, dem die Anteilnahme fast schon wieder unangenehm war: „Das ist schön, aber wichtiger ist, daß die Mannschaft gut spielt.“
Dabei hätte Jürgen Gronau allen Grund, es richtig auszukosten, wieder einmal im Mittelpunkt zu stehen. In der Bundesliga-Hinrunde langte es nur zu einem einzigen Einsatz. Und während das halbe Wilhelm-Koch-Stadion nach Leo Manzi rief und sich dabei fast die Lunge aus dem Hals schrie, saß der erfahrene Mittelfeldspieler auf der Auswechselbank: unbeachtet, fast vergessen, still und leise.
Doch jetzt, nachdem der gebürtige Hamburger den Ratsherrn-Cup zur PR-Veranstaltung in eigener Sache umfunktionierte („Ich habe mich ins Gedächtnis zurückgerufen“), hat Gronau sich einiges vorgenommen. Er wolle sich in der Rückrunde wieder in die Stammformation reinspielen, wird er ungewohnt forsch, „ich bin nach meiner Leistenoperation schließlich wieder fit.“ Sollte der Mann mit dem präzisen Kurzhaarschnitt tatsächlich noch einmal der Sprung unter die ersten elf schaffen – unter mangelnder Aufmerksamkeit würde er nicht leiden.
Mehr Kult denn Können
„Otti-Otti-Otti“, tönte es aus der Ecke der St.-Pauli-Fans, und jeder wußte, wer gemeint war. VfL-93-Spieler Klaus Ottens, ehemaliger Pauli-Profi und als Übersteiger bekannte Kultfigur auf dem Kiez. „Es ist ein Super-Gefühl“, beschreibt das blonde Fußballidol die Sympathien der Fans. Derzeit betreibt der blonde Linksfüßer einen Imbiß am Rathausmarkt, in dem er auch häufiger Besuch von St.-Pauli-Fans bekommt. „Es ist immer ein bißchen Wehmut dabei, wenn ich auf die treffe“, bemerkt Ottens, der gestern seinen 30jährigen Geburtstag auf dem Kiez feierte.
Beim Regionalligisten VfL 93 ist Otti zwar nicht der Star, fühlt sich dort jedoch sehr wohl. „Es herrscht eine gute Kameradschaft“, spricht's und verschwindet zum Aufwärmen. Verschwinden wird er aber nie aus den Herzen der St.-Pauli-Fans. Würde es am Millerntor eine „Hall of Fame“ geben, ihm würden sie sicher einen Platz in der ersten Reihe reservieren.
Der neue Liebling
Martin Driller läßt es sich im VIP-Raum schmecken: Erst wird ein Becher Duo des Mousses ausgelöffelt, zum Abschluß ist Gourmet Frucht dran. Den Verzehr solcher Süßspeisen sehen Trainer bei ihren Spielern nicht gerne – direkt vor einem Spiel erst recht nicht. Doch die Alsterdorfer Sporthalle ist groß, Trainer Uli Maslo weit – keine Gefahr also. Andererseits könnte es sich der 26jährige heute vermutlich sogar leisten, erwischt zu werden. Soll er doch essen, was ihm schmeckt, solange die Leistung stimmt. Das war in letzter Zeit der Fall – und früher ganz anders.
Da galt der Stürmer als ein launiger Tunichtgut, als einer, der für den Profifußball nicht die nötige Reife besitzt. Sein Stammplatz war die Auswechselbank, er sollte sogar verkauft werden. Daran denkt beim FC St. Pauli inzwischen keiner mehr. Bei den jüngeren Fans ist Driller, der 1991 von Borussia Dortmund kam, der beliebteste Spieler. Am Sonnabend mußte er sogar während einer Spielunterbrechung Autogramme geben: „Ich habe inzwischen einen guten Draht zu denen, sie schätzen meinen Einsatz und Engagement.“
Auch Übungsleiter Uli Maslo hat ihn mittlerweile akzeptiert, obwohl der Coach eigentlich Kicker weniger schätzt, die offen ihre Meinung sagen. „Ich bin immer für ehrliche Worte“, sagt Driller. Auch in puncto Trainingslager, das nach einer Entscheidung von Präsident Heinz Weisener („zu teuer“) nun doch nicht wie geplant in Katar stattfinden wird, sondern in Spanien. Die Mannschaft sei darüber sehr sauer und fühle sich „abgespeist“, schließlich „hatten wir weder Aufstiegs-, noch Weihnachtsfeier“. Alle Puddings dieser Erde sind gegen solchen Ärger nur ein schwacher Trost.
Ho-Ho-Hochverrat
Statt „Ho-Ho-Hollerbach“ hieß es nur „Ho-Ho-Hochverrat“. Dennoch habe er keine Probleme mit den St.-Pauli-Fans, betont Bernd Hollerbach fast schon ein wenig kaltschnäuzig. Die Fans haben ihm den Wechsel zum HSV nicht verziehen. Es gab beim Ratsherrn-Cup zwar keine vehementen Haßtiraden, aber Antipathie war zu spüren, Pfiffe zu hören. Wahrscheinlich hat ihn HSV-Coach Magath deswegen nicht aufgestellt, was Hollerbach jedoch dementiert. „Ich habe in Essen gespielt, nun sind einfach andere dran. Meine Arbeit bei Pauli war ehrlich, und ich habe mir nichts vorzuwerfen.“ Anders sieht dies Sven Brux, Fanbeauftragter des FC St. Pauli: „Man geht nicht zum Lokalrivalen.“ Für Bernd Hollerbach handelt es sich jedoch um eine rein sportliche Angelegenheit: „Ich will weiterkommen und nicht da spielen, wo es schön ist.“
son/cleg /Fotos: Stephan Pflug
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen