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Tatsächliche Trauer

■ Eine Lesung zum Tod Heiner Müllers im Literaturhaus

Ein Dialog mit den Toten, das war für Heiner Müller das Theater. Was seinen eigenen Tod betrifft, ist man allerdings noch in der Phase des Monologischen, so scheint es jedenfalls. Schon seit Jahresbeginn und noch bis morgen liest man am Berliner Ensemble Texte des einen Tag vor Silvester verstorbenen Dramatikers. Wenn der König stirbt, steht alles still. Die Marathontrauer als Versuch, sich der Integrationsfigur noch über den Tod hinaus zu versichern. Und zugleich als Ausdruck eines Schmerzes, der sich zu seiner Artikulation in fremde Texte flüchtet, Heiner-Müller-Texte, Königs-Texte, die über das ihnen innewohnende Pathos hinaus jetzt auch noch durch die Schwere des Todes geadelt werden. Morgen wäre Heiner Müller übrigens 67 Jahre alt geworden.

Nicht nur in Berlin, auch in Hamburg war vielerorts etwas spürbar, was die Medien bei öffentlichen Figuren sonst nur zu simulieren pflegen: tatsächliche Trauer. So eine gedrückte Stimmung wie am vergangenen Samstagabend herrschte im Hamburger Literaturhaus jedenfalls wohl noch nie. Gedämpfte Gespräche. Bekannte begrüßen sich nur mit einem kurzen Lächeln. Es ging noch nicht um die Veränderung des Dialogs mit Müller-Texten. Es galt noch darum, Abschied zu nehmen.

Mitglieder des Schauspielhaus- wie des Thalia-Ensembles hatten sich zusammengefunden, um aus Heiner Müllers Werken zu lesen, das Ganze zu später Stunde, ab 23 Uhr. Die Regisseure Dimiter Gotscheff und B. K. Tragelehn verstärkten die Runde. Vorher waren zwei Stunden lang als Videoprojektion die Gespräche gezeigt worden, die Heiner Müller mit Alexander Kluge geführt hatte. Und trotz des unbequemen Termins und trotz der kurzen Vorankündigungszeit waren viele Interessierte gekommen.

Ein Querschnitt aus Müller-Texten, Gedichte, Szenen, Prosa, vorgetragen aus Anlaß seines Todes. Und nicht nur im Anlaß war der Tod präsent. Auch in den Texten war viel von ihm die Rede, wie sollte es bei diesem Autor auch anders sein? Das Sterben, das war für Müller schon immer eins der Zentralmotive der deutschen Geschichte gewesen, der Tod, er durchzieht sein Werk. Und zwar bis zuletzt. Am Ende der Lesung stand ein Text, den Müller wenige Wochen vor seiem Tod geschrieben hatte, selbst das eigene bevorstehende Sterben wird ihm darin noch zum Material für die Textproduktion.

„Mein Tod wird eure Welt nicht besser machen“, dieses Zitat aus Müllers Macbeth-Bearbeitung war kurz zuvor gefallen. Nachdem er die vorausgehende Szene mit viel Verve gesprochen hatte, hat Peter Brombacher diesen Satz möglichst untheatralisch gesagt. Welcher Tod macht die Welt schon besser?

Dirk Knipphals

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