: Frisch auf den Tisch: Iß es und vergiß es
Deutsche Landwirtschaft will keine generelle Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel. Rindfleischkonsum um zehn Prozent zurückgegangen ■ Von Hermann-Josef Tenhagen
Berlin (taz) – Die deutsche Landwirtschaft traut den Verbrauchern nicht über den Weg: Wenn es nach ihren Marktstrategen geht, sollen gentechnisch veränderte Lebensmittel künftig nicht immer zu erkennen sein. Antonius Nienhaus, der Geschäftsführer der Centralen Marketing-Gesellschaft der Deutschen Agrarwirtschaft (CMA), sagte gestern in Berlin, nur wenn „es wichtig für den Verbraucher ist, sollten solche Lebensmittel gekennzeichnet werden“. Wann das der Fall ist, werde in Brüssel entschieden. Bei Zucker aus Zuckerrüben, die gentechnisch gegen Krankheiten resistent gemacht worden seien, sei eine Kennzeichnung sicher nicht notwendig, so Nienhaus bei der Vorstellung der CMA-Jahresbilanz 1995. Die Gentech-Firma Klein Wanzlebener Saatzucht arbeitet derzeit an Zuckerrüben, die gentechnisch gegen das Virus Rizomania unempfindlich gemacht worden sind.
Der Streit um genmanipulierte Lebensmittel ist nicht das einzige Problem, mit dem sich die CMA derzeit herumschlagen muß. 1995 ging der Rindfleischkonsum um rund 10 Prozent auf nur noch 11 Kilo pro Kopf zurück. 1990 hatte er noch bei 15 Kilo gelegen. Verbrauchersorgen wegen des in Großbritannien grassierenden Rinderwahnsinns und Bilder von Schlachtviehtransporten drückten die Lust an der Fleischeslust.
Auch beim Schweinefleisch und Geflügel gab es keine Steigerungen. „Die Jugend entschied sich, den Fleischverbrauch zu reduzieren“, stellte Nienhaus fest. Menschen unter dreißig würden nur 68 Prozent soviel Fleisch verzehren wie Durchschnittbürger. „Die Massenmedien haben das Schlachttabu gebrochen und Bilder aus den Schlachthöfen gebracht.“ Das habe dem Absatz geschadet. Um den negativen Trend beim Fleischkonsum umzukehren, plant die CMA für 1996 eine aggressive Werbekampagne mit sportlichen Motiven. Nienhaus schwärmte von Drachenfliegern, die zur Stärkung Steaks konsumieren und den Slogan „Iß es oder vergiß es“ publik machen. Damit möchte die CMA ihre Erfolge in der Milchwirtschaft wiederholen.
1995 haben die Deutschen nämlich erstmals seit langem genausoviel Butter verbraucht wie Margarine, rund sieben Kilo pro Kopf. Deutsche Milchprodukte seien so überzeugend, daß man von insgesamt 35 Milliarden Mark Agrarexporten rund fünf Milliarden Mark durch Joghurt und Quark einnehmen konnte. „Am meisten nach Holland“, so der CMA-Geschäftsführer stolz.
Bei der Frage nach genmanipuliertem Käse reagierte die CMA denn auch empfindlich: „Wenn Käse gentechnisch hergestellt wird, sollte man ihn deklarieren“, erklärte Nienhaus kategorisch. Ein entsprechendes Enzym Chymosin wird seit Jahren von der niederländischen Firma Gist Brocades hergestellt und nach Belgien, Finnland, Griechenland, Norwegen Großbritannien und in die Schweiz verkauft. In Deutschland ist es noch nicht zugelassen.
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