piwik no script img

Ein Stoff mit skurrilen Seiten

■ Über Madonnen, Gummi-Orden und herben Gestank: Warum Jürgen Ellermeyer vom Barmbeker Museum der Arbeit scharf auf Kautschuk ist

taz: Was ist das denn?!?

Dr. Jürgen Ellermeyer: Eine Tabakspfeife aus Hartgummi, in Form eines Frauenbeines, mit Strumpfband und so.

Etwas frauenfeindlich, oder?

Ein bißchen, vielleicht. Aber meine Kolleginnen waren eher amüsiert als entsetzt.

Warum wollen Sie sowas im Museum der Arbeit ausstellen?

Diese Pfeife ist ein Zeugnis der kautschukverarbeitenden Industrie in Hamburg. Also stellen wir das vermutlich aus, auch wenn es aus heutiger Sicht als Produktverirrung erscheinen mag, und ordnen es in seinen historischen Hintergrund ein.

Erläutern, interpretieren, kommentieren?

Ja, vielleicht auch kommentieren.

Haben Sie noch mehr so skurrile Sachen in ihrer Sammlung?

Wie wär's mit einem Gummiorden in Silber?

Klingt gut.

So sieht er aus. Das war eine Verdienstmedaille, bis in die 30er Jahre hinein, bei der Harburger Firma Gummi-Kamm. Für zehn Jahre Firmenzugehörigkeit gab es eine aus Bronze, für 25 Jahre Silber, und Gold für 50 Jahre.

Also nicht aus Kautschuk?

Diese Medaille hier nicht, aber bei der New-York Hamburger Gummi-Waaren Compagnie, in deren ehemaliger Fabrik am Bahnhof Barmbek in diesem Jahr das Museum der Arbeit eröffnet wird, gab es sie auch aus Kautschuk.

Seit wann wurde denn in Hamburg mit Kautschuk gearbeitet?

Seit Mitte vorigen Jahrhunderts. Der Natur-Kautschuk, den übrigens schon die Azteken nutzten, wurde aber klebrig bei Hitze und brüchig bei Kälte. Vulkanisation war die entscheidende Erfindung, 1839 von Goodyear.

Der mit den Autoreifen?

Ja, der Name hat sich bis heute erhalten. Durch Vulkanisation, also die langfristige Einwirkung von Hitze und Schwefel, wurde der Naturkautschuk industriell nutzbar gemacht.

Der Verarbeitungsprozeß hört sich an, als ob die Arbeitenden dabei nicht unbedingt gesünder wurden.

Stimmt. Aber darüber wissen wir im Detail zu wenig. In den erhaltenen offiziellen Beschreibungen tauchen Gesundheitsgefahren kaum auf. Während des Krieges ist ein großer Teil der Firmenarchive vernichtet worden. Daß es fürchterlich stinken kann, wissen wir aus Befragungen. Manche meinten, fast so schlimm wie der Fischmehlgeruch am Hafen.

Sie suchen also noch mehr Zeitzeugen?

Vor allem suchen wir Menschen, die selbst noch in der Kautschukverarbeitung tätig waren und das schildern können. Ebenso sind Erzählungen von Nachfahren natürlich interessant für uns, denn wir wissen noch nicht genug, sowohl über die Herstellungsprozesse als auch über die sonstige Arbeitswelt. Deshalb sind wir auch an Fotos, Lohntüten, Arbeitsverträgen und ähnlichem interessiert, wir nehmen alles.

Hoffen Sie auch noch auf so merkwürdige Erzeugnisse wie diese Damenbein-Pfeife?

Bevor sowas bei jemandem im Keller verstaubt, wäre es im Museum der Arbeit sicher besser aufgehoben. Aber auf Prachtstücke wie die Hartgummi-Madonna können wir wohl nicht ernsthaft hoffen.

Eine Madonna aus Hartgummi?!?

Die gibt's wirklich, hergestellt im Geschmack der Kaiserzeit von der Harburger Gummi-Kamm. Einen halben Meter hoch, etwa.

Kann ich die sehen?

Nein, tut mir leid. Die ist als Leihgabe in der Ausstellung „Gummi – die elastische Faszination“ in Dresden und zur Zeit in Berlin zu sehen. Genauso wie die Humboldt-Büste.

Alexander von Humboldt, der Naturforscher?

Ja, der Kopf, in Lebensgröße. Der wurde von der Firma H.C. Meyer jr., Mutterfirma der Gummi-Kamm, auf der Weltausstellung in Wien 1873 präsentiert, um zu zeigen, was man aus dem Stoff so alles machen kann.

Und jetzt machen Sie aus dem Stoff auch noch eine Ausstellungseinheit im Museum.

Ja. Kautschuk ist wirklich vielseitig.

Fragen: Sven-Michael Veit

Für Infos, Dokumente etc. zum Thema sind dankbar: Dr. Jürgen Ellermeyer, Museum der Arbeit, Maurienstr. 19, 22305 Hamburg, Tel. 2984 - 3533 o. - 2364, und Alexandra Przyrembel, Tel. 49 85 65.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen