: Jede Menge Sauerkraut
■ Neues Gesetz: Frankreichs Radios müssen das einheimische Liedgut pflegen
„Dumm und bösartig“ fand der Kommentator der französischen Tageszeitung Libération den sogenannten „Pelchat-Erlaß“, der den 1.300 französischen Radiosendern vorschreibt, vom 1. Januar 1996 an ihre Musikprogramme zu 40 Prozent mit französischen Chansons zu bestücken. Die Hälfte wiederum soll von Jungtalenten stammen, also von Künstlern, die noch keine zwei „goldenen Alben“ herausgebracht haben (was 100.000 verkauften Exemplaren entspricht).
Der Erlaß betrifft alle Stationen, die irgendeine Form von Musikprogramm haben. Jede von ihnen hat einen Vertrag mit der CSA, dem obersten Rundfunkrat, abgeschlossen, der nun auch die Einhaltung der Quotenregelung überwachen soll. Für 1.300 Stationen scheint das aber fast unmöglich; die CSA kann gerade 30 Sender regelmäßig überwachen; die anderen kommen mit Stichproben davon. „Es kann also“, so die Libération, „keine Gleichbehandlung geben, ein Argument, das zu Recht von denjenigen ins Feld geführt wird, die sich zur Ordnung gerufen sehen und sogar mit Sanktionen rechnen müssen.“ Die Sanktion, das ist die Schließung einer Radiostation, die sich nicht an die Quotenvorgabe hält. Gegen diese Schließung kann der Sender allerdings beim Staatsrat Protest einlegen, was ein langwieriges Verfahren nach sich zieht.
Proteste gegen den Erlaß beziehen sich nicht nur auf dessen Praktikabilität. „Wenn Springsteen ein Lied auf französisch einspielt“, so Nova-Radio-Redakteur Mickaäl Gentile, „darf ich es bringen, aber wenn Mano Negra Englisch singen, geht es nicht.“ In der Tat macht der Pelchat-Erlaß keinen Unterschied zwischen französischen Bands, die Rai oder afrikanische Musik machen, und ausländischen Gruppen.
Damit, so findet der Kommentator Gérard Dupuy, wird ein stattliches Segment der Bevölkerung an die Kandare genommen; die Jugendlichen, die ihren Rock im Originalton hören wollen, und ein Teil der Immigranten. Deshalb hat Musique France Plus bereits an die CSA appelliert, die Quote auf ein Trimester statt auf einen Monat anzuwenden, und das ganze Konzept auf „Frankophonie“ zu erweitern, um eben beispielsweise algerischen Rap spielen zu können. Es heißt, die CSA sei nicht unbedingt abgeneigt.
Ausgenommen von der Regelung sind Spezialprogramme wie Radio Latina für die spanischsprechenden Franzosen oder Beur FM für Einwanderer aus dem Maghreb. Ausgenommen sind auch die Klassikprogramme. Die staatlichen Radiosender arbeiten schon seit Jahren mit einer Quotenregelung; bei Radio France sind es sogar sechzig Prozent, wenngleich die offenbar kaum jemals wirklich erreicht werden. Andere Stationen, wie RTL, Europe 1 oder RMC senden bereits über vierzig Prozent französischer Chansons. „Man braucht nichts weiter zu tun“, schreibt der Kommentator Gérard Dupuy, „als sich ein billiges Transistorgerät zu kaufen, und man wird feststellen, daß man jederzeit jetzt schon französische Chansons hören kann, soviel man mag – es ist sehr viel schwieriger, sie zu vermeiden.“
Der Pelchat-Erlaß ist die bislang letzte in einer Reihe kulturprotektionistischer Maßnahmen der französischen Behörden. Da war zunächst die sogenannte „kulturelle Ausnahme“ des audiovisuellen Sektors (vor allem des Films) aus den Gatt-Verhandlungen. Auch Kritiker der neuesten Regelung sind mit dieser Politik nicht unzufrieden gewesen: „Den französischen Film und die Kinos in unserem Land“, so die Kritikerin Ange- Dominique Bouzet, „hat die Quotenregelung zweifellos gerettet.“ Die Regelung zwang die Fernsehanstalten, auch die privaten, fünfzig Prozent französische Spielfilme zu zeigen. Das hat zwar nichts an den sinkenden Zahlen der Kinozuschauer geändert (von 300 Millionen im Jahr 1962 auf 184 Millionen im Jahr 1970, Tendenz weiter fallend). Aber Fernsehanstalten wie Canal+ , mit einem täglichen Bedarf von mindestens einem Spielfilm, sind quasi gezwungen, fast die gesamte französische Produktion aufzukaufen (115 Filme 1994).
Auch Bücher fallen unter die besagte „kulturelle Ausnahme“, was zu seltsamen Unterschieden führt. Le Monde-Kritikerin Véronique Mortaigne gab zu bedenken: „Es ist doch in der Tat ungerecht, Mozart wie Schokolade zu behandeln und Dostojewski als Kultur.“
Dem Kampf gegen die amerikanischen Majors in den Gatt-Verhandlungen folgte der ministerielle Erlaß, der vorschrieb, aus der Werbung und allen staatlichen Publikationen die Anglizismen zu verbannen. Statt „Chewing-gum“ soll es jetzt wieder „pÛte à mÛcher“ heißen, und statt „pressing“ wieder „nettoyage“.
„Die konservative Mehrheit“, so schäumte der Libération-Kommentator, „braucht eben Symbole ihrer unerschöpflichen Stärke. Das hat uns die Atomtests beschert und nun auch das französische Chanson. Für den Rest ist all das, wie man weiß, ein ziemliches choucroute (Sauerkraut), jede Menge choucroute. (Das ist elsässisch, Monsieur, nicht deutsch!) Mariam Niroumand
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