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■ QuerspalteWas denkt die Maus

Der gemeine Engländer versammelt sich gelegentlich mit seinesgleichen am Kamin, schaut einen Augenblick sinnend in die Glut und betrachtet die Welt im Irrealis: Angenommen, Hitler hätte den Krieg gewonnen oder Princess Diana wäre nicht ganz so dumm wie Bohnenstroh – wie stünde es dann um uns?

Bei solcher Gelegenheit, strictly men, dürfte auch die Liste mit den „Hundert einflußreichsten Büchern der Nachkriegszeit“ entstanden sein, die das „Times Literary Supplement“ vor einiger Zeit veröffentlichte, und die jetzt pfeifenqualmig diskutiert wird. Mit im Klub saßen lauter gebildete Leute, die womöglich sogar einen Großteil der genannten Bücher von großen, weißen und oft schon ziemlich toten Männern gelesen haben: Ralph Dahrendorf war dabei, Timothy Garton Ash, Michael Ignatieff und Leszek Kolakowski.

Von Simone de Beauvoir bis Milton Friedman, von Czeslaw Milosz bis Thomas Kuhn haben sie das meiste von dem aufgezählt, was in den letzten 50 Jahren wichtig und richtig war. Literatur blieb, wenn sie nicht „besonders folgenreich“ war, ausgeschlossen. Warum aber Kunderas „Buch vom Lachen und Vergessen“ wichtiger gewesen sein soll als Rushdies „Satanische Verse“, bleibt das kleine Geheimnis der Männerrunde. Wahrscheinlich hat den Snobs auch keiner gesagt, daß Pasolinis „Freibeuterschriften“ ein kleines bißchen mehr bewirkten als zum Beispiel Mary Douglas' „Purity and Danger“. Aber was soll's: Paul Feyerabend ist den lordlichen Herrschaften ebenso unbekannt geblieben wie die gesamte ökologische Kehre seit den Siebzigern. Von der flotteren Ware, sei es Vance Packard, Desmond Morris, Paul Watzlawik oder Camille Paglia, wollte die Kaminrunde lieber auch nichts wissen.

Doch was ist schließlich eine Liste? Ein Steckenpferdchen, nichts weiter. Die Herren haben sich längst aufs nächste geschwungen und einem anderen Menschheitsrätsel zugewandt: Was denkt die Maus am Donnerstag?

Willi Winkler

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