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Was ist links?

Oskar Lafontaine hält seine SPD für eine „Linkspartei“. Oha! Jahrelang war der Begriff „links“ verpönt, stand auf der Liste der vom Aussterben bedrohten Wörter. Die taz fragte nach:

Autorin

„Links heißt parteiisch sein mit unterdrückten und ausgebeuteten Menschen weltweit.

Dazu braucht es unter anderem auch die Verbindung der ökologischen mit der sozialen Frage, herrschaftsfreie, antinationale Einstellung und antipatriarchalen Verstand. Ohne antikapitalistische und antiimperialistische Praxis, ohne Theorie, ohne Organisierung – keine Chance!

Zum Kampf gegen links gehört, den Begriff zu entleeren und sich als Orden an die rechte Brust zu kleben.

Beispiele wohl auch auf dieser taz-Seite.“

SPD-MdB

„THEMEN: Zivile Verhältnisse: soziale Gerechtigkeit, innerer Frieden, äußere Sicherheit. Sagen, was zu tun ist, aber auch sagen, was wir allein nicht machen können.

GRENZEN aufzeigen – wirtschaftliche, ökologische, soziale und kulturelle.

ÄNGSTE ernst nehmen – wirtschaftliche, ökologische, soziale und kulturelle.

VERHALTEN: Erfahrungen, nicht Ideologien, verarbeiten. Aufklärung, Selbstkritik und Kritik, Gerechtigkeit vor Selbstgerechtigkeit, offene Selbstkorrektur.“

Bayerischer Christsozialer

„Links ist gut, und rechts ist böse! Was denn sonst?“

taz-Autor in Irland

„Wenn man vom Dubliner Flughafen kommt, steht an der Ausfahrt ein Schild, das in vier Sprachen befiehlt: „Links fahren!“

Ein Stück weiter, am Anfang der Autobahn, steht auf der rechten Fahrbahn: „Wrong way! Turn back!“

Ansonsten wissen die Iren aber auch nicht so recht, was links ist.“

Hessischer Justizminister (Grüne)

„Den Ungeist des Nationalismus und des ethnischen Denkens bekämpfen – in Europa und für eine uneingeschränkt demokratische, sozialstaatliche und umweltverträgliche Europäische Union. Bei jedem Projekt auf Demokratie und demokratische Legitimation setzen, nicht auf politische Avantgarden, die Obrigkeit oder gar auf die Mittel des autoritären Staates. Ferner: die freie Marktwirtschaft nicht mit den Grund- und Menschenrechten zu verwechseln, sondern als das nehmen, was sie ist: hochproduktiver Kapitalismus mit gewaltigen Risiken für die soziale Gerechtigkeit und die Umwelt.“

Autorin

„Schon als ich noch in zweifelsfrei linken Organisationen Mitglied war – als Schülerin bei den Roten Falken, der Sozialistischen Jugend, im SDS –, habe ich unter links immer einen eher intellektuell-moralischen Habitus verstanden. Auf den Punkt gebracht, ist „links“ eine Anstrengung, ohne Religion auszukommen und auf jedes, aber auch wirklich jedes „Eiapopeia“ (Freud) auch persönlich zu verzichten. Da hat man dann auch den Vorzug, unter allen Umständen antiautoritär und ganz vorn, nämlich in der Opposition zu bleiben.“

Professor für Wirtschaftswissenschaft

an der Universität Bremen

„Ob das neue Jahr 96 die linke Renaissance bringen wird, ist mit Blick auf die SPD trotz Oskarscher Verkündigung zweifelhaft. Denn die Technokraten, die unter dem Sachzwangfetisch Wirtschaftsstrukturen konservieren, haben (noch) die Oberhand. Die Chancen für linke Politik – auch in der SPD – erwachsen vor allem von unten, aus den Bewegungen gegen Arbeitslosigkeit, Sozialabbau und Naturzerstörung. Links ohne radikale Umweltpolitik schließt sich aus.“

Unternehmerin

„Früher war für mich – wie wohl für jeden – links eindeutig definiert: das Streben nach sozialer Gerechtigkeit, auch Risikofreude und Pioniergeist.

Die Gesellschaft 1996 ist fragmentarischer als früher, heute hat sich das Wertesystem verändert. Was früher links war, vertreten nun auch andere gesellschaftliche Gruppen. Jetzt ist es trendy, über die Ökologie zu reden, und so macht das jeder.

Aber keiner wagt es, die ökologischen Ideen konsequent umzusetzen. Der Verzicht wäre allen zu groß.“

Künstler

„LINKS ist für mich das ständige Ringen um soziale Gerechtigkeit, und es ist gelebte Solidarität mit Verfolgten, Schwachen und Behinderten. LINKS bedeutet Frieden zwischen Menschen und mit der Natur.

Daß es auch leider linkes Spießertum gibt, ist hinlänglich bekannt. Nur nach der Mikrobe einer spezifisch, oft ideologisch verbrämten linken Dummheit wird bisher vergeblich geforscht. Da bleibt für Aufklärung noch einiges zu tun.“

Schriftstellerin

„Links? Es gibt für mich schön links und blöd links. Schön links ist das Anarchistische, daß man den eigenen Verstand so weit zusammen hat, daß man selber denkt und sich nichts vormachen läßt. Blöd links ist die Dauerjuvenität von Männern mit Platte und Zöpfchen, die sich von den 70er Jahren nicht trennen können und die ewig zu wissen glauben, was für andere gut ist. Das nenne ich Beglückungsimperialismus. Links ist für mich die Verpflichtung, es sich nicht so leicht zu machen. Für meine Katze ist links da, wo der Griff an die Eisschranktür ist.“

BMW-Vorstandsvorsitzender

„Seitdem ich infolge der Übernahme von Rover öfter nach Großbritannien komme, fällt mir dabei zunächst der dortige Linksverkehr ein. Aber Spaß beiseite: Was die Semantik von links so interessant macht, ist ihr changierender Charakter.

Im Sprachgebrauch reicht das von einer reinen Orts- und Richtungsangabe bis hin zu einer politischen Ortsbestimmung. Diese Offenheit des Begriffs ist es aber andererseits, die ihn für den Mißbrauch als herabsetzendes Schlagwort so anfällig macht.

Zusätzlich erschwert wird der Einsatz des Wortes dadurch, daß „links“ und „rechts“ als politische Ortsbeschreibung ausgedient haben. Dies heißt nicht, einem unkritischen Werterelativismus das Wort zu reden.

Denn während der gesamtgesellschaftliche Konsens über zentrale Werte verlorenzugehen droht, bräuchten wir – auch angesichts der vielbeklagten Standortprobleme – nichts dringender als eine Verständigung darüber, was unser Land jenseits politischer Schlagworte zusammenhalten soll.“

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