piwik no script img

Heißt der liebe Gott inzwischen Freud?

Fröhliches Freud-Bashing in den USA: Die Washingtoner Kongreßbibliothek hat eine Ausstellung wegen angeblicher Budgetprobleme abgesagt  ■ Von Katharina Rutschky

Im Dezember hat die berühmte Library of Congress in Washington eine für dieses Jahr vorgesehene Ausstellung über Sigmund Freud abgesagt. Die Library ist eine gigantische Institution mit wahrhaft universalistischen Zielen: Sie sammelt im Prinzip alle, wirklich alle Druckwerke – selbst meine Bücher können dort angefordert werden. Mit dem Wissen, irgendwo so schön aufgehoben zu werden, gedachte ich (in hoffentlich allerfernster Zukunft) getrost ins Grab zu sinken, wie vor mir, mit mir und nach mir Millionen anderer Autoren jedweder Geistesrichtung und Nationalität. Nun ist die Library zum vierten Mal in kurzer Zeit mit einer Ausstellung unter Beschuß geraten. Jene über die Eroberung des Westens, den deutschen Widerstand gegen Hitler und die Sklaverei kamen wenigstens noch zustande, gegen den Widerstand mal dieser, mal jener Gesinnungslobby, welche im Zeitalter von p.c. die korrekte Repräsentation ihrer Mündel (Frauen, Kinder, Farbige, Indianer usw. usf.) mit tapferer Interessenvertretung und Politik verwechselt. Sigmund Freud fällt definitiv aus. Offiziell werden von der Library Budgetprobleme angegeben; tatsächlich hat sie wohl gekniffen, weil schon im Vorfeld 50 prominente Freud-Gegner sich öffentlich gegen die Ausstellung gewandt hatten und auch durch Angebote zur Mitarbeit und Einladungen zur Beratung nicht umzustimmen waren.

Einesteils ist das eine schlechte Nachricht und scheint das Mißtrauen zu bestätigen, das Freud selbst den Vereinigten Staaten gegenüber hegte. Da überblickte er aber auch noch nicht, wie viele seiner Schüler drüben Zuflucht und Wirkungsmöglichkeiten finden würden – auf der Flucht vor den lange siegreichen Armeen des GröFaZ aus Braunau. Andererseits ist der Streit um Freud und seine Unwürdigkeit, in der Library ausgestellt zu werden, ein gutes Zeichen. Freuds Psychoanalyse lebt: Sie ist nämlich nicht irgendeine effiziente Therapie, eine Psychologie für Fachmenschen und Professoren only, nein, sie war und ist bis heute ein realistisches und dramatisches Angebot zur Selbstreflexion und zur Gewinnung (im individuellen Fall) nicht von Gesundheit, Glück und ungeahnter Größe, sondern von ein bißchen Freiheit. Darüber hinaus ist die Freudsche Psychoanalyse für Lehrende und Lernende kostspielig und zeitaufwendig, ja, man muß schon zugeben, auch elitär. Seit dem Surrealismus hat sie ungezählte Schriftsteller, Maler, Drehbuchschreiber und Regisseure so oder so inspiriert – ihr kulturelles Prestige ist entsprechend und mit dem des Behaviorismus oder der systemischen Familientherapie (von Klaus Grawes „Allgemeiner Psychotherapie“, dem Pichelsteiner Topf des Heilens & Helfens ganz abgesehen) gar nicht zu vergleichen. K.R. Eissler, der uralte Wächter des Freud-Archivs in New York, dem man nur eins vorwerfen kann, daß er nämlich auf einen gutaussehenden und charmanten intellektuellen Windhund wie Jeffrey M. Masson hereingefallen ist (der mit dem Kindesmißbrauch, den Freud aus ehrenrührigen Gründen unter den Teppich gekehrt haben soll), hat einmal gesagt, daß die einfachste Möglichkeit, aufzufallen und bekannt zu werden, immer noch die sei, ein Buch gegen Freud zu schreiben. Diese Möglichkeit haben jahrzehntelang viele ergriffen; heute läßt sich diese Option von ehrgeizigen Strebern mit Moral, politischem Engagement und wissenschaftlicher Skrupulosität verbinden. Jeder Makel verschwindet, wenn man sich für das Gute, Schöne, Wahre ins Zeug legt – was heute heißt, Kinder, Frauen, Hühner, Kühe und andere Minoritäten.

Zu den Petitionisten in Washington gehört zum Beispiel Adolf Grünbaum, welcher der Freudschen Psychoanalyse die Wissenschaftlichkeit abspricht, so treuherzig, als sei „Wissenschaftlichkeit“ so verkündbar wie das Dogma von der unbefleckten Empfängnis. Außerdem Oliver Sacks, ein Psychiater, der mit schön erzählten Anekdoten aus der Welt der Alzheimerianer und anderer hilfloser Personen auf dem Markt fürs populäre Sachbuch reüssiert hat (z.B. „Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte“), auch ein Filmdrehbuch vorweisen kann („Awakenings – Zeit des Erwachens“, verfilmt mit Robert De Niro), aber damit offenbar nicht zufrieden ist. Dazu Gloria Steinem, Ex-Model, dann Renegatin, Feministin und Herausgeberin von Ms, der amerikanischen Emma. Ms. Steinem hält Freud für schwer gestört; der landläufige Feminismus macht Freud ja seit Jahren für alles verantwortlich, worüber nachzudenken sich lohnte („Penisneid“), und außerdem für die gewalttätige sexuelle Ausbeutung von Kindern, von der auch hierzulande gesagt & gesungen wird (jedes dritte Mädchen, jeder siebte Junge), ohne daß in die offenen Arme der Mitleidigen & Helfer bislang die entsprechenden Opferquantitäten strömen – im Gegenteil! Ein Hamburger Verein „Dunkelziffer e.V.“ verspricht, das zu ändern und die Dunkelzifferkinder, die ihre Phantasie beschäftigen, hilfreich zu outen. Viel Glück!

Weil ich die vollständige Liste der Petitionisten nicht habe, weiß ich nicht, ob Frederick Crews auch zu denen gehört, welche die Freud- Ausstellung verhindern wollten (und es geschafft haben). Könnte aber gut sein. Sein Votum gegen Freud ist ganz besonders interessant. Die Gegenwart (in Innsbruck herausgegeben von Stefanie Holzer und Walter Klier) hat die Aufsätze des Literaturwissenschaftlers und feurigen Freud-Renegaten übersetzt und abgedruckt, die sich mit Mißbrauchsprozessen beschäftigen, welche auf quacksalberische Therapien zurückgehen. Wer schwer gestört ist, und schon gar, wer seit Jahren als Patientin von Psychiatrie zu Psychiatrie weitergereicht wird, der ist eben sexuell mißbraucht oder eine „Multiple Persönlichkeit“ – was ursachenmäßig auf dasselbe hinausläuft. Crews hat das als Unsinn (wie andere auch) erkannt und offengelegt – das gibt mir zumindest den Glauben an die amerikanische Aufklärung wieder. Andererseits glaubt Crews, diese ganze sexuelle Paranoia hüben wie drüben gehe auf die Psychoanalyse zurück und ihren Begriff der Verdrängung, die durch entschlossene (suggestive) Befragung aufzuheben sei. Als ob Freud sich nicht mit Mühen von der Hypnose und der Allmacht des Therapeuten verabschiedet hätte! Hat Freud sich hie und da geirrt? Hat er ein Auge auf seine Schwägerin geworfen? War er ein perfekter Vater? Ein perfekter Mensch? Und, da es den nicht gibt – ein Gott? Freuds harsche Kritiker haben das, was Freudianer ein „Übertragungsproblem“ nennen. Freud als Pionier des Unbewußten, der Triebe und der Lehre, daß wir nicht Herr (Frau) im eigenen Hause sind, zieht ambivalente Reaktionen auf sich. Leidenschaft und Bewunderung da – fixierte Kritik dort. Bitte Professor Freud, übernehmen Sie!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen