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Fortsetzung von Seite 32

Kentrup gegen das Staatstheater.

Pierwoß: Ich bin gespannt, ob diese Strukturreformen angegangen werden und wieweit wir da kommen. Es ist festzuhalten, daß alle Bemühungen auf dem Bauch gelandet sind bisher. Aber eines muß ich ganz klar sagen: Das sind unsere Strukturreformen, das ist unsere Geschichte. Du kannst nicht für die Autonomie von Institutionen sein und das Recht nehmen, diesen Streit bei uns auszufechten.

Kentrup: Das wäre ein Mißverständnis. In eure Dinge mische ich mich nicht ein.

Was würden Sie machen, wenn es in dem Gemüsegarten etwas zu jäten gäbe?

Kentrup: In der aktuellen aufgeheizten Situation will ich darüber nicht reden. Wenn der Haushalt klar ist, wenn der Vertrag von Pierwoß erfüllt ist und die anderen Theater die geforderten Summen mehr gekriegt haben, dann werde ich über diese Dinge reden. In der derzeitigen Situation steht es mir nicht zu, beim Goethetheater herumzuwerkeln.

Herr Pierwoß, wofür braucht das Theater die vielen Hierarchie-Ebenen?

Pierwoß: Ich habe unter vielen Modellen gearbeitet, in Köln auch mal das Modell einer Direktoriums-Struktur ausprobiert, wir sind damit fürchterlich auf die Nase gefallen. Ich bin mit voller Überzeugung und auch aus Erfahrung ein Vertreter des intendantischen Leitungsprinzips. Ich halte es für richtig und wichtig, daß in entscheidenden Phasen einer die letzte Entscheidung hat. Was anderes kann ich mir in diesen institutionalisierten Theatern nicht vorstellen.

Ich will aber noch etwas anderes sagen zu diesem Thema Strukturreformen: Wenn ich gesagt hätte zu der Kultursenatorin Frau Kahrs, ich mache es mit 5 Millionen weniger, dann wäre doch dieser Vorschlag Strukturreform gar nicht gekommen. Von ihrer Intention aus verbindet sich die Strukturreform doch nur mit dem Aspekt des Sparens.

Und sie vermischt auf irritierende Weise Sparen und Umverteilen. Sie hat vor unserer ersten Aufsichtsratssitzung am Nachmittag offenbar ein Hintergrundgespräch mit Pressevertretern gehabt. In der Aufichtsratssitzung hat sie nur mit Sparargumenten debattiert und ich habe am nächsten Tag in der Zeitung gelesen, daß es ihr auch um Umverteilen geht.

Vielleicht denkt sie ja: Die Leute, die ins Staatstheater gehen, können auch eine Fahrkarte nach Hamburg bezahlen. Nicht aber die, die zu Schnürschuh oder Waldau gehen.

Pierwoß: Dann muß man das als Programm verkünden.

Das verkündet sie nicht so direkt?

Pierwoß: Nein. Ihr Senatsdirektor Köttgen hat uns nur gesagt: Wissen Sie, so große Opern wie Moses und Aron, müssen Sie die machen? Da habe ich gesagt: Ja wir müssen die machen, die gehören zum Programmspektrum eines Theaters. Wenn man aber die Musik nur mit der Kammerphilharmonie machen will, dann muß das so gesagt werden: Dann gibt es nur Kammeroper.

Köttgen geht vielleicht im Hamburg ins Theater, er hat in Bremen nur seinen Job.

Pierwoß: Zumindest ist er bei uns noch nie im Theater gewesen. Der Staatsrat für Kultur auch noch nicht.

Was für eine politische Leitlinie verfolgt die Kultursenatorin Kahrs? Was ist ihr Kulturbegriff?

Pierwoß: Da bin ich überfragt. So kommt es, daß sich alle nach Helga Trüpel zurücksehnen.

Wie hoch muß der Kulturetat in dieser Stadt sein?

Pierwoß: Der erste Schritt müßte sein, den Bundesdurchschnitt zu erreichen.

Verdoppeln also.

Pierwoß: Für einen Stadtstaat, der den Anspruch hat, regionales Oberzentrum zu sein, wird man doch wohl auf bundesdurchschnittliches Niveau kommen müssen. Ich rede doch gar nicht von Frankfurter oder Stuttgarter Verhältnissen. Was in anderen Städten machbar ist, das muß auch in Bremen möglich sein. Das ist die Frage nach dem politischen Gestaltungswillen. Ich finde es schmählich, wenn hier Musikbibliotheken zur Disposition stehen sollen. Für uns ist der Bundesdurchschnitt doch die ganz große Utopie. Es wäre ein ungeheurer Fortschritt in Bremen, wenn Kultur wieder eine Selbstverständlichkeit würde, auf die man nicht verzichten möchte.

Kentrup: In meinem ersten Gespräch mit der Senatorin ist miR klargeworden: Diese Senatorin wird sich nicht für eine Erhöhung stark machen. Ich habe ihr damals gesagt: Da ist der Bock zum Gärtner gemacht worden. Da liegt das Problem. Was ich nicht verstehe: Für einen Empfang bei der Literaturpreisverleihung ist kein Sekt mehr finanzierbar und gleichzeitig werden 45 Millionen für ein Musical ausgegeben.

Ich hoffe gleichzeitig, daß die Senatorin – so habe ich sie verstanden und darauf Bin ich neugierig – daß sie über dieses Nachdenken über Geld anfängt, Strukturen zu schaffen, wo Leute sich selber organisieren. Dann können sie sich nicht mehr nur als Opfer definieren und dann sehen ihre Produkte anders aus. Mich interessiert bei der Kulturdebatte nicht der Aspekt Standortfaktor, sondern: Sparen, um andere Lebensbedingungen in diesem Lande herzustellen. Dann ist das nicht nur blinde Sparwut, sondern auch eine ungeheure Chance, über Inhalte wieder nachzudenken.

Das wundert mich. Versteht diese Senatorin etwas von Kultur?

Kentrup: Ich glaube, daß sie zur Zeit keine Ahnung von Kultur hat.

Worauf dann die Neugier?

Kentrup: Bei vielen Politikern ist begriffen worden, daß ein Umdenken ansteht,

Bei Zietz, dem Staatsrat?

Kentrup: Laß doch mal...

Versteht Carmen Emigholz etwas von Kultur? Auf wen kann es da Hoffnung geben?

Kentrup: Es geht nicht nur um den kleinen Bereich Kultur. Es ist meine Hoffnung, daß Politiker immer mehr kapieren, wie mit den vorhandenen Ressourcen umgegangen werden könnte. Es dämmert einigen über die Endlichkeit der Ressourcen.

Hat die Senatorin da Ziele, eine Vision?

Pierwoß: Wenn sie das erfolgreich in Gang bringen will, dann muß sie ihre Definition und ihre Zielvorstellung von Strukturreform klarstellen. Das Wort ist in der letzten Zeit als Nebelwerfer benutzt worden.

Kentrup: Das grundsätzliche Problem ist: Das Ressort Bildung, Wissenschaft und Kultur ist viel zu groß. Da fiel schon unter Senator Franke die Kultur unter den Tisch. Man kann derzeit nur die Hoffnung haben, daß sich da jemand einarbeitet, man wird sehen, ob es passiert. Zur Zeit ist da Lernen angesagt.

Herr Pierwoß, was machen Sie, wenn die Senatorin Ihren Vertrag nicht erfüllt? Gehen Sie vor Gericht?

Ich will mich in meinen Verhaltensweisen und meinen Verhandlungsweisen nicht vorweg festlegen. Wir haben die Situation mit der Senatsbehörde und den Sprechern der Parteien ausgiebig besprochen, dazu fällt mir nichts Neues mehr ein. Jetzt ist die Politik am Zug. Wir werden abwarten, wie die Kultur-Deputation am 7.Februar entscheidet und dann werde ich mich dazu verhalten.

Ihren Terminkalender haben Sie aber über den 7. Februar hinaus geführt.

Wir planen im Moment im Musiktheater die Spielzeit 1997/98. Ich gebe zu, ich lebe in einer gewissen Schizophrenie. Ich plane so, als wenn der Vertrag erfüllt wird, und weiß doch, daß es ein jähes Ende geben kann. Damit muß ich jetzt leben.

Kentrup: Das muß man nicht so tragisch sehen. Was Du jetzt erlebst, das erleben wir seit Jahren. Man ist immer voll da und gleichzeitig auf dem Absprung.

Fragen: S.Raubold/K.Wolschner

Umverteilen im Kulturbereich? Die Dicken und die Kleinen – ein Streit um Kultur und Theater und kein Solidarpakt / Im taz-Gespräch: Klaus Pierwoß, Generalintendant des Staatstheaters und Norbert Kentrup, Mitarbeiter der Shakespeare-Company

taz: Herr Pierwoß, die Kalaschnikow hat in diesem Jahrhundert Geschichte gemacht. Sie haben gesagt, Sie und Kentrup hätten die Kalaschnikow beiseite gelegt. (taz 16.1.96) Woran denken Sie, wenn Ihnen da dieses Gewehr einfällt?

Klaus Pierwoß: Ich denke primär an den Vietnamkrieg.

Das heißt: Das ist das Gewehr der Guerilla.

Klaus Pierwoß: Oder war es zeitlig.

Mit der Kalaschnikow wurden die Amerikaner in die Knie gezwungen. Ist der Kentrup der imperialistische Ami?

Pierwoß: Solche Vergleiche darf man ja auch nicht überstrapazieren. Wenn es mal argumentativ divergierende Positionen gibt, dann wird daraus gleich eine Gegnerschaft konstruiert. Das brauchen die Medien...

Norbert Kentrup: Da hast du aber heftig dazu beigetragen...

Perwoß: Das weise ich von mir. Du willst doch nicht den Boten für die Nachricht verantwortlich machen. Ich habe mit dem Bild einen Vorgang beschrieben, ich habe aber kein Interesse an einem Gerangel unter den freien Gruppen.

Apropos Kalaschnikow: Ist nicht eher das Staatstheater der Imperialist und die freien Theater die Guerilla, Norbert Kentrup?

Ich hätte niemals das Wort Kalschnikow als Bild für unseren Streit benutzt, weil ich dieses Gewehr nie im Kopf hatte noch benutzen würde. Als ich das gelesen habe, dachte ich: Aha, in welchen Dimensionen denkt Klaus eigentlich...

Pierwoß: Vielleicht hätte ich sagen müssen: Wir haben die Wasserpistolen wieder weggesteckt.

Kentrup: Was mir bei diesen Auseinandersetzungen immer klarer wird, und was weder der Weser-Kurier noch die taz begriffen hat: Ich versuche seit zwölf Jahren, bei Senator Franke habe ich damit angefangen, zu beschreiben, daß sich die Kulturlandschaft verändert hat. Ich habe gesagt: Es gibt nicht mehr nur das, was ihr in euren Haushaltsplänen drin habt an Kultur-Subventionierungen. Helga Trüpel hat damit angefangen, Bringfriede Kahrs hat es etwas besser noch begriffen...

... als Trüpel?

... und fängt damit an, es zu realisieren: Sie sagt, was übrigens auch Lothar Späth gesagt hat, daß es eine reiche, vielfältige Theaterlandschaft geben muß und daß diese Monopolgeschichten vorbei sind.

250.000 Menschen gehen inzwischen in Theater, die mit schlappen 3 Millionen subventioniert werden. Wenn ich sagen, daß muß sich ändern, dann ist das schon ein Anrgiff. Wenn die Senatorin mich damit zitiert, kann ich nichts dafür. Das ist eine Realität, der Rechnung getragen werden muß im Kulturetat. Ich spreche noch lange nicht von Umverteilen. Noch rede ich von Erhöhung der Kulturetats. Gleichzeitig rede ich davon: Es wird weniger. Darüber muß ich dann auch nachdenken.

Diese Theaterszene, Shakespeare-Company, Schnürschuh, Ernst Waldau-Theater, Packhaus, Junges Theater, wenn die nicht genügend subventioniert werden oder überhaupt etwas aus dem Etat bekommen, dann geht diese Theaterszene bald kaputt.

Herr Pierwoß, wieviel Geld hätten diese Theater verdient in einem anständigen Kulturetat?

Pierwoß: Ich finde, der Kulturetat ist sowieso eine Katastrophe. Es ist die Hälfte des Etat anderer Städte. Wenn der Kulturetat eine Dimension hätte, die einem Stadtstaat angemessen ist, dann wäre sowohl die Austattung der freien Szene eine andere wie auch die des großen institutionalisierten Mehrspartentheaters. Natürlich gibt es nicht mit mehr Geld die bessere Kunst. Aber der Umkehrschluß stimmt auch nicht: Wenn es knapper wird, dann reden die Politiker von unserer Phantasie, die wir nutzen sollen. Als ob wir das sonst nicht täten. Bremen hat einen großen Nachholbedarf, was die Kultur angeht. Momentan setzen sie uns einer schleichenden Auszehrung aus.

Meine Frage war eine andere: Wieviel Geld hätten diese Theater Ihrer Ansicht nach verdient?

Pierwoß: Das kann ich jetzt nicht sagen. Ich würde ihnen soviel gönnen, wie sie brauchen. Das kommt doch darauf an: Wie sinnvoll wird hier mit öffentlichem Geld umgegangen. Wieviel geht hier immer noch in Investitionsruinen oder noch in marode Unternehmungen, von denen man hinter vorgehaltener Hand sagt, daß sie sich doch nicht erholen...

Worauf spielen Sie an? Auf die Stahlwerke und den Vulkan? Auf die Musical-Idee?

Pierwoß: ... in allen anderen Regionen wird mehr in die Kultur investiert als in Bremen.

Die Haushaltsberatungen, die jetzt anstehen, sind sehr konkret. 45 Millionen sollen ausgegeben werden für das Musical, aus dem Wirtschaftsförderungs-Etat. Würden Sie fordern, daß mit diesen 45 Millionen der Kulturetat aufgestockt wird?

Pierwoß: Ihre Frage ist absurd. Ich fordere für unser Haus die Minimalbasis. Das Musical-Thema zeigt, daß es genügend Geld zu verteilen gibt in dieser Stadt. Das Sparplakat wird nur uns immer wieder vor die Nase gehalten. Man hatte eine dreiviertelmillion Mark allein dafür, daß gutachterlich untersucht wird, ob Bremen eine Musical-Stadt ist.

Kentrup: Ich will auf einen anderen Punkt hinaus. Es geht um die Kultur insgesamt. Ihr seit nicht mehr das Theater, sondern nur doch eine städtische Bühne...

Pierwoß: Damit habe ich keine Schwierigkeiten, Norbert. Ich spreche immer von der Theaterlandschaft. Wir lassen uns nicht gegeneinander ausspielen. Viele der Freien Gruppen leihen sich bei uns, was wir entbehren können, spielen auf unserer Bühne, im Concordia.

Kentrup: Wir müssen nur trotzdem anders nachdenken über die vorhandenen Ressourcen. Das wird die Arbeit in den nächsten Jahren sein. Es kann doch nicht sein, daß ein ganzes Ballett gespart wird, weil kein Geld mehr da ist. Das kann's doch nicht sein. Mit den vorhandenen Mitteln ist es möglich, mehr Leute einzustellen. Wie weit ist eine Gehalts-Obergrenze erforderlich? Es kann doch nicht sein, daß immer mehr Menschen arbeitslos werden, die anderen sich immer mehr kaputt arbeiten. So begreife ich diese Debatte, das ist meine Hoffnung. Wenn da ein Politiker, sei es Frau Kahrs oder ein anderer, in diese Richtung mitdenken will, bin ich dabei. Nur Gelder sparen bei der Kultur – da bin ich nicht dabei.

Das ist der Solidarpakt für die Kultur.

Kentrup: Mir geht es um Strukturreform, um andere Modelle. Die Staatstheater arbeiten noch in Strukturen, die nicht gut für die Menschen sind, und entsprechend sehen die Produkte aus. Wenn ich mit Geld anders umgehen muß, muß ich über andere Arbeitsweisen, andere Hierarchien, Wertigkeiten nachdenken. Das ist der Grund, warum ich mich in diese Geschichte hineinklemme. Die Produkte werden sich damit verändern. Die taz beschreibt mich nach zwölf jahren immer noch als Chef. Es ist falsch. Der Chef ist das Plenum.

Was sind Sie denn?

Mitglied der Bremer Shakespeare-Company. Wenn wir über Strukturveränderungen reden, kommen wir unter anderem an solche Punkte ran. Und ich habe auch nicht vor, Intendant zu werden. Auch nicht bei der Bremer Shakespeare-Company.

Dadurch, daß wir selber bestimmen, welche Prduktionen zu welchem Zeitpunkt kommen, wie wir produzieren, und dann verkaufen, wohin wir verkaufen, dadurch entsteht ein anderer Bezug zu dem Produkt, und entsprechend hat das Publikum einen anderen Bezug zu dem Produkt. Die Shakespeare-Company hat die besten Probenzeiten in der Republik..

... die kürzesten?

Nein, die längsten. Das hat damit zu tun, daß wir es selber bestimmen können. Und wir spielen die Produkte lange. Es ist ein Riesenglück, wenn Du als Schauspieler eine Rolle vier, fünf Jahre spielen darfst, und nicht nach einer Spielzeit alles kaputt ist. Das interessiert mich an dieser Debatte. Es geht nicht um Kentrup gegen die Staatstheater.

Pierwoß: Ich bin gespannt, ob diese Strukturreformen angegangen werden und wieweit wir da kommen. Es ist festzuhalten, daß alle Bemühungen auf dem Bauch gelandet sind bisher. Aber eines muß ich ganz klar sagen: Das sind unsere Strukturreformen, das ist unsere Geschichte. Du kannst nicht für die Autonomie von Institutionen sein und und Dir das Recht nehmen, diesen Streit bei uns auszufechten.

Kentrup: Das wäre ein Mißverständnis. In eure Dinge mische ich mich nicht ein.

Was würden Sie machen, wenn es in dem Gemüsegarten etwas zu jäten gäbe?

Kentrup: In der aktuellen aufgeheizten Situation will ich darüber nicht reden. Wenn der Haushalt klar ist, wenn der Vertrag von Pierwoß erfüllt ist und die anderen Theater die geforderten zusätzlichen Summen gekriegt haben, dann werde ich über diese Dinge reden. In der derzeitigen Situation steht es mir nicht zu, beim Goethetheater herumzuwerkeln.

Herr Pierwoß, wofür braucht das Theater die Hierarchie-Ebenen?

Pierwoß: Ich habe unter vielen Modellen gearbeitet, in Köln auch mal das Modell einer Direktoriums-Struktur ausprobiert, wir sind damit fürchterlich auf die Nase gefallen. Ich bin mit voller Überzeugung und auch aus Erfahrung ein Vertreter des intendantischen Leitungsprinzips. Ich halte es für richtig und wichtig, daß in entscheidenden Phasen einer die letzte Entscheidung hat. Was anderes kann ich mir in diesen institutionalisierten Theatern nicht vorstellen.

Ich will aber noch etwas anderes sagen zu diesem Thema Strukturreformen: Wenn ich gesagt hätte zu der Kultursenatorin Frau Kahrs, ich mache es mit 5 Millionen weniger, dann wäre doch dieser Vorschlag Strukturreform gar nicht gekommen. Von ihrer Intention aus verbindet sich die Strukturreform doch nur mit dem Aspekt des Sparens.

Und sie vermischt auf irritierende Weise Sparen und Umverteilen. Sie hat vor unserer ersten Aufsichtsratssitzung am Nachmittag offenbar ein Hintergrundgespräch mit Pressevertretern gehabt. In der Ausfichtsratssitzung hat sie nur mit Sparargumenten debattiert und ich habe am nächsten Tag in der Zeitung gelesen, daß es ihr auch um Umverteilen geht.

Vielleicht denkt sie ja: Die Leute, die ins Staatstheater gehen, können auch eine Fahrkarte nach Hamburg bezahlen. Nicht aber die, in zu Schnürschuh oder Waldau gehen.

Pierwoß: Dann muß man das als Programm verkünden.

Das verküpndet sie nicht so direkt?

Pierwoß: Nein. Ihr Senatsdirektor Köttgen hat uns nur gesagt: Wissen Sie, so große Opern wie Moses und Aron, müssen Sie die machen? Da habe ich gesagt: Ja wir müssen die machen, die gehören zum Programmspektrum eines Theaters. Wenn man aber die Musik nur mit der Kammerphilharmonie machen will, dann muß das so gesagt werden: Dann gibt es nur Kammeroper.

Köttgen geht vielleicht im Hamburg ins Theater, er hat in Bremen nur seinen Job.

Pierwoß: Zumindest ist er bei uns noch nie im Theater gewesen. Der Staatsrat für Kultur auch noch nicht.

Was für eine politische Leitlinie verfolgt die Kultursenatorin Kahrs? Was ist ihr Kulturbegriff?

Pierwoß: Da bin ich überfragt. So kommt es, daß sich alle nach Helga Trüpel zurücksehnen.

Wie hoch muß der Kulturetat in dieser Stadt sein?

Pierwoß: Der erste Schritt müßte sein, den Bundesdurchschnitt zu erreichen.

Verdoppeln also.

Pierwoß: Für einen Stadtstaat, der den Anspruch hat, regionales Oberzentrum zu sein, wird man doch wohl auf bundesdurchschnittliches Niveau kommen müssen. Ich rede doch gar nicht von Frankfurter oder Stuttgarter Verhältnissen. Was in anderen Städten machbar ist, das muß auch in Bremen möglich sein. Das ist die Frage nach dem politischen Gestaltungswillen. Ich finde es schmählich, wenn hier Musikbibliotheken zur Disposition stehen sollen. Für uns ist doch der Bundesdurchschnitt doch die ganz große Utopie. Es wäre ein ungeheurer Fortschritt in Bremen, wenn Kultur wieder eine Selbstverständlichkeit würde, auf die man nicht verzichten möchte.

Kentrup: In meinem ersten Gespräch mit der Senatorin ist mit klargeworden: Diese Senatorin wird sich nicht für eine Erhöhung stark machen. Ich habe ihr damals gesagt: Da ist der Bock zum Gärtner gemacht worden. Da liegt das Problem. Was ich nicht verstehe: Für einen Empfang bei der Literaturpreisverleihung ist kein Sekt mehr finanzierbar und gleichzeitig werden 45 Millionen für ein Musical ausgegeben.

Kentrup: Ich hoffe, daß die Senatorin – so habe ich sie verstanden und darauf hin ich neugierig – daß sie über dieses Nachdenken über Geld ein anfange, Strukturen zu schaffen, wo Leute sich selber organisieren, dann können sie sich nicht mehr nur als Opfer definiern und dann sehen ihre Produkte anders aus. Mich interessiert bei der Kulturdebatte nicht der Aspekt Standortfaktor, sondern: Sparen, um andere Lebensbedingungen in diesem Lande herzustellen. Dann ist das nicht nur blinde Sparwut, sondern auch eine ungeheure Chance, über Inhalte wiede nachzudenken.

Das wundert mich. versteht diese Senatorin etwas von Kultur?

Kentrup: Ich glaube, daß sie zur Zeit keine Ahnung von Kultur hat.

Worauf dann die Neugier?

Kentrup: Bei vielen Politikern ist begriffen worden, daß ein Umdenken ansteht,

Bei Zietz, dem Staatsrat?

Kentrup: Laß doch mal...

Versteht Carmen Emigholz etwas Kultur? Auf wen kann es da Hoffnung geben?

Kentrup: Es geht nicht nur um den kleinen Bereich Kultur. Es ist meine Hoffnung, daß Politiker immer mehr kapieren, wie mit den vorhandenen Ressourcen umgegangen werden könnte. Es dämmert einigen über die Endlichkeit der Ressourcen.

Hat die Senatorin da Ziele, eine Vision?

Pierwoß: Wenn sie das erfolgreich in Gang bringen will, dann muß sie ihre Definiion und ihre Zielvorstellung von Strukturreform klarstellt. Das Wort ist in der letzten Zeit als Nebelwerfer benutzt worden.

Kentrup: Das grundsätzliche Problem ist: Das Ressort Bildung, Wissenschaft und Kultur ist viel zu groß. Da fiel schon unter Senator Franke die Kultur unter den Tisch. Man kann derzeit nur die Hoffnung haben, daß sich da jemand einarbeitet, man wird sehen, ob es passiert. Zur Zeit ist da Lernen angesagt.

Herr Pierwoß, was machen Sie, wenn die Senatorin Ihren Vertrag nicht erfüllt? Gehen Sie vor Gericht?

Ich will mich in meinen Verhaltensweisen und meinen Verhandlungsweisen nicht vorweg festlegen. Wir haben die Situation mit der Senatsbehörde und den Sprechern der Parteien ausgiebig besprochen, dazu fällt mir Nichts neues mehr ein. Jetzt ist die Politik am Zug. Wir werden abwarten, wie die Kultur-Deputation am 7.Februar entscheidet und dann werde ich mich dazu verhalten.

Ihren Terminkalender haben sie aber über den 7. Februar hinaus geführt.

Wir planen im Moment im Musiktheater die Spielzeit 1997/98. Ich gebe zu, ich lebe in einer gewissen Schizophrenie. Ich plane so, als wenn der Vertrag erfüllt wird, und weiß doch, daß es ein jähes Ende geben kann. Damit muß ich jetzt leben.

Kentrup: Das muß man nicht so tragisch sehen, Was Du jetzt erlebst, das erleben wir seit Jahren. Man ist immer voll da und gleichzeitig auf dem Absprung.

Fragen: S.Raubold/K.Wolschner

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