„Einige haben eben Rache geübt“

Wo kroatische Truppen nach dem Bosnien-Friedensabkommen abziehen, hinterlassen sie verbrannte Erde. Muslime dürfen nur zurück, wenn kein Kroate ihr Haus beansprucht  ■ Aus Mrkonjić Grad und Jajce Erich Rathfelder

Von Feuer geschwärzte Fensterhöhlen, verbrannte Dachstühle, vor den Häusern verstreute Möbel, Küchengeräte und Kleidungsstücke – das ehemals weißgetünchte Mrkonjić Grad bietet ein Bild der Verwüstung. Im September 1995 eroberten die bosnisch- kroatische Truppen der HVO die Stadt zurück. Mehr als 10.000 Einwohner der ehemals mehrheitlich von Serben bewohnten Stadt flohen nach Banja Luka.

In den Straßen patrouillieren heute einige Soldaten der HVO. Vor einem Stützpunkt der internationalen Streitmacht (Ifor) stehen britische Posten gelangweilt herum. Die kroatische und muslimische Bevölkerung, die vor dreieinhalb Jahren aus den umliegenden Dörfern von serbischen Truppen vertrieben wurde, ist nicht in ihre ehemalige Heimat zurückgekehrt. Und sie wird es wohl auch nicht. „Mrkonjić Grad und seine Umgebung werden ja bald wieder unter serbischer Kontrolle sein.“ Phil Allister, britischer Soldat und Pressesprecher, gibt sich zuversichtlich. Die „Konfliktparteien“, sagt er, „halten sich bisher an das Abkommen von Dayton.“ Und er deutet auf die Höhenzüge am Horizont, wo die Frontlinie verläuft. „Wir konnten uns schon davon überzeugen, daß beide Seiten jeweils zwei Kilometer von der Frontlinie abgerückt sind. Nach zwei Wochen werden die HVO- Truppen aus dem gesamten Gebiet, das an die Serben zurückgegeben werden muß, abgerückt sein. Nach weiteren 60 Tagen können die Serben hier wieder die Verwaltung übernehmen.“

Jetzt ist die Straße in Richtung der alten bosnischen Königsstadt Jajce noch offen. Wie das später sein wird, wagt von den kroatischen Soldaten, die hier noch an einem Kontrollpunkt stehen, niemand zu sagen. Noch vor einigen Tagen kontrollierten sie hier alle vorbeifahrenden Autos. Die Ifor hat jedoch seit dem 15. Januar durchgesetzt, daß alle Kontrollstellen, gleich welcher Armee, abgebaut werden müssen. „Wir müssen hier wieder weg, das ist klar“, sagt einer der Kroaten. „Wir haben bei dem Kampf viele Leute verloren, wir haben gesehen, was die Serben in den kroatischen und muslimischen Dörfern in der Region angerichtet haben: Seit 1992 haben sie alle kroatischen und muslimischen Häuser zerstört.“ Und er grinst, als er auf das Feuer in Mrkonjić Grad angesprochen wird. „Einige haben Rache geübt, das ist verständlich. Die Serben werden ihre Stadt eben wieder aufbauen müssen.“

An den Ruinen der zerstörten Dörfer vorbei führt die Straße zu einem Stausee des Pliva-Flusses. Hier, zehn Kilometer von Mrkonjić Grad und acht Kilometer von Jajce entfernt, wird zukünftig die Grenze zwischen der „Republika Srpska“ und der kroatisch-bosnischen Föderation verlaufen. In dem Dorf Majdan, das auf der serbisch-kontrollierten Seite liegen wird, sind kroatische Flaggen aufgezogen. Eine ältere Frau, vor einem Schubkarren mit Baumaterialien, ist dem Weinen nahe. „Wir sind erst vor sechs Wochen aus dem Flüchtlingslager in Livno hierher in unser altes Haus zurückgekommen. Seitdem haben wir versucht, es wieder aufzubauen. Heute sagen sie uns, daß wir wieder gehen müssen, das wird ja wieder serbisch.“ Sie kann es nicht recht glauben und zeigt auf die Kasernen, die gerade von britischen Soldaten an der zukünftigen Grenze errichtet werden. „Vielleicht helfen uns die britischen Soldaten.“ Der Wasserfall des Pliva- Flusses, der in Jajce fast 20 Meter tief in das Bett der Vrbas stürzt, bot schon Generationen von Touristen ein imposantes Schauspiel. Überragt wird die Szenerie von der alten Burg der bosnischen und katholischen Könige, die bis zur der Eroberung durch die Türken im Jahre 1463 hier geherrscht haben. Die sich an den Burgberg klammernden Häuser der Altstadt und die modernen Wohnhäuser im Tal bieten selbst heute noch einen reizvollen Blick. Für Jajce, eine der schönsten Städte Bosniens, ist der Krieg vorüber. So hofft jedenfalls Ante. Zusammen mit Freunden richtet er sein altes Café wieder her, das nahe am Wasserfall in einem der alten Gewölbe gelegen ist. „Von der Einrichtung ist nach drei Jahren serbischer Besatzung nicht viel übriggeblieben.“ Doch schon strahlt die Theke in neuem Glanz.

Der 28. Oktober 1992 ist ihm, wie allen ehemals 43.000 Einwohnern der Stadt, in lebhafter Erinnerung geblieben. Damals kam der Befehl zum Rückzug. Die Stadt sei vor den mit Flugzeugen und Artillerie angreifenden serbischen Truppen nicht mehr zu halten, hieß es aus dem Hauptquartier. Zehntausende machten sich zu Fuß auf den Weg. Da die großen Straßen schon abgeschnitten waren, wälzte sich der Zug von mehr als 30.000 Menschen auf einem Bergpfad über das Massiv des Vlasićgebirges in das mehr als 30 Kilometer entfernte Travnik. Die kroatische und muslimische Bevölkerung der Stadt, mehr als 80 Prozent der damaligen Einwohner, zog unter dem Beschuß der serbischen Artillerie aus. Viele bezahlten die Flucht mit dem Leben. Die Bilder vom Zug der Flüchtenden gingen damals um die Welt und rüttelten auch die vor Schreck erstarrte Bevölkerung Restbosniens auf. Die Eroberung Jajces markierte einen Wendepunkt im Krieg. Die serbische Armee hat seither keinen größeren Sieg mehr davontragen können. „Schon kurz nach der Flucht haben wir begonnen, die Rückkehr zu planen.“ Nikola Bilić, der 45jährige Bürgermeister, residiert wieder in seinem alten Büro im Rathaus der Stadt. „Wir haben in unserem Exil in Livno immer an unsere Rückkehr geglaubt.“ Jajce bot nach der Rückeroberung durch die Kroaten ein ähnliches Bild der Verwüstung wie jenes, das die Serben in Mrkonjić Grad bei ihrer Rückkehr vorfinden werden. Noch heute lagern Berge von Müll in den Staßen. Vom Franziskanerkloster und der Kirche, die 1993 von serbischen Militärs gesprengt wurden, ist lediglich ein Schuttberg übriggeblieben. Der einzig noch erhaltene Trakt wurde als Gefängnis für serbische Deserteure genutzt. Wo einstmals die berühmte Moschee stand, gibt es heute nur noch eine Grünfläche. 80 Prozent der Häuser sind beschädigt, doch nicht von den Kämpfen im September 1995. Die rund 5.000 serbischen Bewohner und das serbische Militär haben die Stadt im Spätsommer vergangenen Jahres nämlich fast kampflos geräumt.

Jetzt wird überall gehämmert und gesägt. 7.644 Menschen sind wieder da, im Frühjahr werden es weitere zehntausend sein, allerdings überwiegend Kroaten. Es waren nämlich die Streitkräfte der bosnischen Kroaten der HVO, die am 13. September 1995, kurz nach dem Sieg in Mrkonjić Grad, in die Stadt einzogen. Und den Muslimen wurde die Rückkehr erst einmal verwehrt. Jajce gehört seither zum nicht anerkannten kroatischen Staat „Herceg-Bosna“.

Schon drei Stunden nach der Einnahme der Stadt war Bürgermeister Bilić vor Ort. Und sein Stab begann bereits am nächsten Tag mit den ersten Maßnahmen zum Wiederaufbau. Die drei Elektrizitätswerke lieferten wieder Strom, zählt Bilić stolz auf, die Textilfabrik arbeite wieder, ein holzverarbeitendes Werk werde gerade instand gesetzt. 1.000 Menschen hätten Arbeit bei der Stadtverwaltung und bei der Armee gefunden, in den Schulen sei der Betrieb mit 1.500 Grundschülern und 350 der Sekundarstufe wieder aufgenommen worden, das Krankenhaus sei renoviert, und schon seien einige Ärzte zu ihrer Arbeit dorthin zurückgekehrt.

Von den muslimischen Einwohnern, die einstmals mit 39 Prozent den größten Anteil an der Bevölkerung stellten, sind dagegen erst 64 Familien zurückgekommen. Hussein Keljalić strahlt über das ganze Gesicht. Über drei Jahre mußten er und seine mehrköpfige Familie in einem Raum eines Flüchtlingslagers in Zenica zubringen. Als er vor 24 Tagen sein Haus in Jajce erstmals betrat, war die gesamte Einrichtung ausgeraubt, selbst die elektrischen Installationen waren aus den Wänden gerissen. Doch der gelernte Handwerker machte sich sofort an die Arbeit. Die Fenster sind wieder erneuert, ein großer Ofen steht im Wohnraum, von den Franziskanern hat er Möbel erhalten. Der Fußboden ist abgezogen, die elektrischen Leitungen sind neu verlegt. Er strahlt. „Wir sind endlich wieder zu Hause. Mit den Kroaten haben wir keine Probleme.“

Nur drei Kilometer von Jajce entfernt, in Richtung des von der bosnisch-muslimischen Armee gehaltenen Gebietes um Donji Vakuf, werden die Autofahrer noch von kroatischen Polizisten kontrolliert. Hier wurde die bosnische Armee am Tag der Eroberung Jajces durch die Kroaten von der kroatischen HVO beschossen, als sie ebenfalls nach Jajce einrücken wollte. Ein Fahrer aus Zenica darf nicht in die Stadt. Er ist Muslim, stammt aus Jajce und will nach seinem eigenen Haus sehen. Der Polizist bleibt hart, obwohl er eigentlich nach Maßgabe der Ifor niemanden kontrollieren dürfte. Fluchend kehrt der Fahrer um.

Die Muslime, so sagt ein Mitarbeiter des Roten Kreuzes, werden trotz gegenteiliger Beschlüsse innerhalb der kroatisch-bosnischen Föderation immer noch an der Rückkehr gehindert. Bürgermeister Bilić sei von den kroatischen Autoritäten in Westmostar angehalten, die kroatischen Rückkehrer zu bevorzugen. Auch muslimischer Besitz werde von den Kroaten beschlagnahmt, wenn deren eigene Häuser unbewohnbar seien. Nur wenn eine muslimische Familie ein Haus besitzt, auf das kein Kroate Anspruch erhebt, könne sie zurückkehren. In dem muslimisch dominierten Bugojno funktioniere das Ganze ebenso, nur mit umgekehrten Vorzeichen. „Es wird noch lange dauern, bis alle Vertriebenen in ihre angestammte Heimat zurückkehren können.“