■ SPD-Atompolitik zehn Jahre nach Tschernobyl: Im Zweifel für klapprige Atommeiler
Die Bilanz der Großen Koalition in Stuttgart war vorhersehbar. Nach zwei Jahren Untersuchungsausschuß über die Sicherheit des ältesten und skandalumwittertsten Atommeiler der Republik befanden die Abgeordneten von SPD und CDU, der Meiler von Obrigheim kann weiterlaufen.
Zwar ist nicht bekannt, wie der 27 Jahre alten Reaktor genau gebaut worden ist, eine vollständige Dokumentation fehlt. Zwar ist er 24 Jahre überhaupt ohne Genehmigung gelaufen, und auch die Sicherheitsmargen gegen gefährliche Rohrbrüche sind in Obrigheim nicht so wie vorgesehen. Aber zwei Monate vor der Landtagswahl im Südwesten dokumentierte die Große Koalition nur noch atomare Geschlossenheit. Die Abgeordneten scharten sich hinter ihrem SPD-Atomminister Harald B. Schäfer und vertraten mit Verve eine Politik des „Augen zu und durch“.
Warnungen des Ökoinstituts und der staatichen Bundesanstalt für Materialforschung über den Zustand des Reaktors wurden in den Wind geschlagen. Schon zu Beginn seiner Amtszeit hatte SPD-Minister Schäfer gezeigt, was in ihm steckt. Erst schwafelte er in der taz von der „Götterdämmerung für die Kernenergie“, die nun in Baden-Württemberg gekommen sei. Sicherheitsrabatt dürfe es nicht geben. Dann genehmigte er den Skandalreaktor Obrigheim abschließend – was sich sein CDU-Vorgänger nicht getraut hatte. Das ist Große Koalition.
Gäbe es das Risiko ein schwerwiegenden Atomunfalls nicht, brauchte man die oppositionellen Bündnisgrünen nach dem Ende dieses Untersuchungsausschusses nur noch zu beneiden. Zehn Jahre nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl und dem Ausstiegsbeschluß der SPD verteidigen SPD-Abgeordnete und Minister im Südwesten gemeinsam den ältesten Risikomeiler der Republik und den Atomfilz in den Verwaltungen. Den Werbestrategen der Grünen wird noch die Einschätzung des Akws Obrigheim durch den SPD-Obmann im Untersuchungsausschuß frei Haus geliefert. „Ich weiß heute nicht, ob es sicher ist. Aber ich weiß, daß wir es nicht stillegen konnten.“ Die taz empfiehlt: Den Slogan landesweit plakatieren. Und dann Götterdämmerung für Schäfer und die Koalition. Hermann-Josef Tenhagen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen