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Konkurrierende Rechtsauffassungen

Der Senat will heute die Rechtswidrigkeit der Bürgermeisterwahl in Prenzlauer Berg beschließen. Ein Gutachten der PDS behauptet jedoch, die Begründung des Senats sei irreführend  ■ Von Gereon Asmuth

Im Streit um die Bürgermeisterwahl in Prenzlauer Berg verhärten sich die Positionen. Auf der heutigen Senatssitzung soll eine Vorlage von Innensenator Dieter Heckelmann (CDU) beschlossen werden, in der die umstrittene Wahl des Bezirksbürgermeisters Burkhardt Kleinert (PDS) als „rechtsunwirksam“ eingestuft wird. Thomas Raabe, Sprecher der Senatsinnenverwaltung, sagte, man halte an der Auffassung fest, daß das in Prenzlauer Berg durchgeführte konkurrierende Wahlverfahren mit zwei Kandidaten sowohl aufgrund von Gesetzesänderungen als auch richtungweisender Urteile nicht möglich sei. Es hätte daher nur ein Kandidat zur Wahl stehen dürfen – nominiert von der stärksten Fraktion oder einer noch stärkeren Zählgemeinschaft. Senatssprecher Eduard Heußen erwartete gestern keine größeren Diskussionen über die Entscheidung.

Kleinert war am 13. Dezember mit 18 Ja- bei 17 Neinstimmen von der Bezirksverordnetenversammlung gewählt worden. Für seinen Konkurrenten, den von einer Zählgemeinschaft aus SPD und Wählergemeinschaft Bündnis Prenzlauer Berg aufgestellten Reinhard Kraetzer (SPD), hatten zwar 22 Verordnete gestimmt, 23 hatten ihn jedoch abgelehnt. Die BVV hatte sich zuvor – entgegen der Senatsempfehlung – mit einer Zweidrittelmehrheit für das konkurrierende Wahlverfahren als den „demokratischeren“ Weg entschlossen.

An dieser Position hält die PDS nach wie vor fest. Sie legte gestern ein Gutachten des Rechtsanwalts Johannes Eisenberg vor, der zu dem Schluß kommt, daß „konkurrierende Kandidaturen bei der Wahl von Bezirksbürgermeistern mit dem geltenden Recht vereinbar“ seien. Die Begründung der Senatsinnenverwaltung, so das Gutachten, sei irreführrend, da es in der Vergangenheit weder Gesetzesänderungen noch Urteile, die die Zulässigkeit von konkurrierenden Kandidaturen betreffen, gegeben habe.

„Der entscheidende Artikel der Berliner Verfassung wurde in der neuen Verfassung im Wortlaut übernommen“, betonte Michael von der Meer, Fraktionsvorsitzender der PDS in Prenzlauer Berg. Die angeblich richtungweisenden Urteile bezögen sich nur auf die Wahl von stellvertretenden Bürgermeistern und Stadträten, bei denen nie eine konkurrierende Wahl im Gespräch gewesen sei.

Eisenberg sieht in seinem Gutachten folglich keinen Grund, warum die Gesetzesinterpretation der Senatsinnenverwaltung von 1992 nicht mehr gültig sein sollte. Damals hatte der Senat dezidiert die neue Möglichkeit der konkurrierenden Kandidaturen begründet. Das Argument lautete, daß bis 1992 ausschließlich die stärkste Fraktion das Vorschlagsrecht für den Bürgermeister gehabt habe. 1992 war dieses Recht erstmals auch „Zählgemeinschaften“ zugesprochen worden, da „bei der Wahl des Bürgermeisters gerade das politische Moment ausschlaggebend sein“ sollte. Aber auch für diesen Fall sollte eine Ausschließlichkeit ausgeschlossen werden. Entsprechend heißt es in einem Senatsschreiben, daß man es für zulässig halte, daß im Falle eines Vorschlags einer Zählgemeinschaft „die stärkste Fraktion ebenfalls einen Kandidaten benennen kann“.

1992 wurden in mehreren Bezirken wie Marzahn und Friedrichshain konkurrierende Wahlen abgehalten, die jeweils gegen die PDS-Kandidaten entschieden wurden. Damals hatte niemand gegen die Wahlen protestiert. Erst nach dem erneuten Stimmenzuwachs der PDS bei den Bezirkswahlen im Oktober hatte die Senatsverwaltung ihre neue Rechtsinterpretation herausgegeben.

Nach einer ersten „summarischen Prüfung des Gutachtens“ blieb Volker Kähne, Chef der Senatskanzlei, gestern allerdings bei der Ablehnung der Wahl. Die PDS könne ja gegen den anstehenden Senatsbeschluß Klage erheben. Bis zur Berufung eines Bürgermeisters in Prenzlauer Berg wird folglich noch einige Zeit vergehen.

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