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„Gesellschaftskritische Haltung eingenommen“

■ DDR-Totalverweigerer muß nun nach der FDGO für seine Überzeugung büßen

Der Totalverweigerer Oliver Blaudszun ist gestern vor dem Amtsgericht Tiergarten zu drei Monaten Freiheitsstrafe mit einer Bewährungszeit von zwei Jahren verurteilt worden. Richter Frank Schreiber erkannte auf schuldig wegen Fahnenflucht. Die Staatsanwaltschaft hatte aus dem gleichen Grund das doppelte Strafmaß gefordert. Die Verteidigung hingegen hatte für Freispruch plädiert. Ob sie gegen das Urteil in Revision gehen wird, konnte Blaudszuns Anwalt Wolfgang Kaleck gestern noch nicht sagen. Er wolle sich erst heute mit seinem Mandanten „über das weitere Vorgehen“ beratschlagen. Der 26jährige wurde gestern eine Stunde nach Verkündigung des Urteils aus der Haftanstalt Moabit entlassen. Sollte er innerhalb der nächsten zwei Jahre strafauffällig werden, so muß er für einen Monat hinter Gitter. Zwei Monate hat er bereits durch die Untersuchungshaft „abgebüßt“ (Kaleck).

Blaudszun hat schon zu DDR- Zeiten den Dienst mit der Waffe verweigert und wegen „Republikflucht“ 14 Monate gesessen. Die Musterung in der DDR hat in der Bundesrepublik weiter ihre Gültigkeit behalten. Da Blaudszun keinen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung gestellt hat, berief das Kreiswehrersatzamt ihn zum 3. Januar 1994 ein. Blaudszun war jedoch schon in Portugal, weil für ihn alles klar schien: Die Verweigerungshaltung in der DDR wird anerkannt. Bei seiner Rückkehr Ende November wurde er auf dem Frankfurter Flughafen verhaftet.

Kaleck zufolge ist die Verurteilung wegen Fahnenflucht nach Paragraph 16 des Wehrstrafgesetzes unzulässig, weil das Kreiswehrersatzamt seine Fürsorgepflicht vernachlässigt habe. Es hätte Blaudszun über die Möglichkeit der Kriegsdienstverweigerung aufklären müssen.

Anders die Logik des Richters Schreiber: Solange ein Einberufungsbescheid nicht nichtig sei, sei er gültig. Im übrigen habe der Angeklagte deutlich gemacht, daß „er generell den Dienst in Frage stellt und generell eine gesellschaftskritische Haltung einnimmt“.

Für Kaleck „war das Verfahren von Anfang an skandalös“. Er beklagte, daß Blaudszuns Vorgeschichte kaum Einfluß auf das Urteil gehabt habe, sondern formale Aspekte dominiert hätten. Es sei sonderbar, wie der Staat jetzt auf „Einstellungen pfeift, die man vor 1989 noch hofiert hat“. Kaleck verwies auf ein Urteil des Landgerichts Rostock von 1993 zu einem ähnlichen Fall, in dem die Vorgeschichte des Angeklagten maßgeblich mit berücksichtigt worden sei und zum Freispruch geführt habe.

Die Bundeswehr könnte Blaudszun nach der Bewährungszeit wieder zu den Waffen rufen. „Solange jemand nicht zu zwölf Monaten und mehr verurteilt ist“, sagt ein Sprecher des Verteidungsministeriums, „bleibt der Mann für uns Soldat.“ Kaleck allerdings glaubt nicht daran, daß es so weit kommen wird. „Dann ginge das ganze Spektakel wieder von vorne los.“ Christoph Oellers

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