Der Handwerker

Dem TV-Fälscher Michael Born gebührt ein Ehrenplatz in der Gilde der großen Kunstfälscher, meint  ■ Klaus Kreimeier

Kinderarbeit in Indien und Drogenschmuggel mitten in Europa sind zweifelsfrei reale gesellschaftliche Mißstände, und kurdische Bombenleger, brutale Katzenjäger oder professionelle Autoknacker signalisieren, daß hierzulande wie andernorts auf Schritt und Tritt Gefahren lauern. Seit es das Fernsehen gibt, verdanken wir seinem „investigativen“ Journalismus bildhafte Eindrücke von den Schrecken dieser Welt. In den Katakomben der Sender türmen sich Gebirge von „Realfilm“ – die Kriege und die Verbrechen der Epoche liegen hier, elektromagnetisch gespeichert, auf Halde und warten auf ihre Wiederauferstehung als „Archivmaterial“.

Gelegentlich werden sie „gelöscht“, um neueren Bildern von wichtigeren Kriegen und interessanteren Verbrechen Platz zu machen. Der Lagerraum ist knapp, die Materialmenge tendenziell unendlich – und der Hunger der bildproduzierenden Systeme unersättlich. Unstillbar ist auch unser aller Hunger nach neuen Bildern, die den alten gleichen und uns an Wirklichkeiten erinnern, die wir schon hundert- und tausendfach gesehen haben. Fernsehen hat zu dem paradoxen Zustand geführt, daß es von nahezu allen Phänomenen dieser Welt inzwischen viel zu viele – und gleichzeitig noch immer zu wenig – Bilder gibt.

Ein klassischer Fall von Künstlerpech

Nun sitzt seit letzter Woche ein Fernsehjournalist im Knast, der aus dieser Notlage Konsequenzen gezogen und den Schritt vom investigativen zum inspirativen Bildjournalismus vollzogen hat. Michael Born (37) hat keine „wirklichen“ ausgebeuteten Kinder in Indien und keine „realen“ Drogenschmuggler, sondern bezahlte Statisten gefilmt. Er hat Geschehnisse, die „tatsächlich“ hätten passieren können, erfunden und inszeniert. Er hat die Inszenierungen jeweils „dokumentarisch“ abgebildet und sie (in mindestens 22 Fällen) als „authentisches“ Material mit Gewinn an RTL, Sat.1, Vox, Pro7, ARD – darunter renommierte Magazine wie Stern-TV, S- Zett oder Zak – und das Schweizer Fernsehen verkauft.

Erst nach etlichen Jahren brachte ihn nun ein typischer Regiefehler zu Fall: Er hatte die Geschichte vom deutsch-Schweizer Drogenschmuggel und eine Story über Ku-Klux-Klan-Umtriebe in Deutschland mit demselben Hauptdarsteller besetzt, worüber nicht etwa der zuständige Redakteur von Stern-TV, sehr wohl aber die Polizei stutzte, als diese in beiden Fällen bereits die strafrechtliche Ermittlung aufgenommen hatte und Borns Filme dafür nutzen wollte.

Ein nachgerade klassischer Fall von Künstlerpech. Doch weder die Staatsanwaltschaft noch die Chefredaktion von RTL noch die verwirrten ZuschauerInnen sind bereit, dem Fiktionsartisten Born den Rang der großen Kunstfälscher oder gar den jener Renaissance-Maler zuzugestehen, die bedeutende Zeitereignisse in ihren Bildern aus politisch-propagandistischen Gründen schamlos umgelogen und dennoch einen Platz in der Galerie der Unsterblichen gefunden haben.

Denn in der Frage, wie wirklich die Wirklichkeit sei, wollen wir uns nichts vormachen lassen. Das Realitätsmedium Fernsehen, das uns unablässig eine Eins-zu-Eins-Relation zwischen Tatbestand und Abbild suggeriert, hat uns geschult; auf diesem Gebiet kennen wir uns aus. Zwar verwischen die TV-Producer selbst sehr gern die Grenzen zwischen „Tatort“-Dokumentarismus und „Notruf“-Camouflage; Facts und Fake, Soap opera und Sozialreport werden heute in jedem zweiten Magazinbeitrag lustvoll miteinander verrührt.

Aber in Sachen Authentizität haben wir mit dem Fernsehen einen Vertrag auf Treu und Glauben geschlossen, den uns konsequente Spielverderber wie Michael Born nicht auch noch um die Ohren schlagen sollen. Der Mann gilt als Betrüger, doch intuitiv ahnen wir, was die festangestellten Manipulateure ganz genau wissen und der Koblenzer Staatsanwalt offen ausspricht: Betrug am Zuschauer ist „strafrechtlich nicht faßbar“.

Ein Paragraph wird sich für ihn dennoch schon finden – keiner jedoch für die sorglosen Aufkäufe seiner Machinationen, für die Zaubermeister des Boulevard-Journalismus vom Typus „Stern-TV“, „Explosiv“ oder „Brisant“, die uns die grauen Alltagsgeschichten dieser Republik als Melange aus Sex& Crime, zumindest aber als Thriller oder triefendes Rührstück servieren und mangels eigenen investigativen Potentials sich nur allzu gern auf dem freien Markt televisuell aufbereiteter Räuberpistolen bedienen.

Schrott ist Schrott, ob authentisch oder fiktiv

Nicht belangbar sind die „Stern- TV“-Herren Jauch und Zaik, die ernsthaft behaupten, alle Angebote von Born auf ihre Authentizität überprüft zu haben, und damit nur bekunden, daß sie von journalistischer Arbeit ungefähr soviel halten wie ihr Kollege Dieter Zurstraßen, Pressesprecher von Sat.1: Was könne man schon machen, wenn einem Born einen inszenierten Überfall auf ein SOS-Kinderdorf in Afrika als Invasion der Amerikaner in Somalia andreht? „Man sieht ein paar Schwarze, und es kracht.“

Schrott ist Schrott, ob es sich nun um eigenes oder (in der Regel ohne Quellenangabe gesendetes) Fremdmaterial handelt. Was sollen da noch subtile Unterscheidungen zwischen „authentisch“ und „fiktiv“?

In die Geschichte der Fälscher wird Born vermutlich als der letzte vordigitale Handwerker seiner Innung eingehen: Er hat noch mit Sorgfalt und „on location“ gebastelt, was uns schon heute versuchsweise und morgen als Standardprogramm von den Hochleistungsrechnern im virtuellen Studio mittels Knopfdruck vorgegaukelt wird.