Nur Ehepaare sollen befruchtet werden

■ Die niedersächsische Ärztekammer will die Ehe als Voraussetzung für eine künstliche Befruchtung vorschreiben

Hannover (taz) – Die Richtlinien der niedersächsischen Ärztekammer klingen wie aus vergangener Zeit: „Wer ernsthaft den Wunsch nach einem eigenen Kind hat, dem ist grundsätzlich zuzumuten, eine eheliche Lebensgemeinschaft einzugehen.“ Das Loblied auf das Standesamt findet sich im jenem Anhang zur Berufsordnung der niedersächsischen Ärzte, der die Voraussetzungen für eine künstliche Befruchtung festlegt.

Mit Hinweis auf die Berufsordnung ist in Hannover bereits zwei unverheirateten Paaren die Behandlung verweigert worden, die sich durch eine Befruchtung im Reagenzglas ihren Kinderwunsch hätten erfüllen können. Schließlich verlangt der Anhang zur Berufsordnung von den künftigen Eltern, daß sie durch Eheschließung „die Ernsthaftigkeit der beabsichtigten Familiengründung rechtlich gesichert dokumentieren“. Dies alles angeblich, um „soziale und rechtliche Nachteile“ für das Kind zu vermeiden, das mit Hilfe gynäkologischer Behandlung zur Welt kommen soll.

In Hannover setzt sich inzwischen aber ein weiteres unverheiratetes Paar – beide im Alter von knapp dreißig Jahren – gegen seine Diskriminierung durch die Ärztekammer zur Wehr. Daß sich der Kinderwunsch des Paares wohl nur durch eine In-vitro-Fertilisation erfüllen läßt, zweifelte selbst die Ärztekammer nicht an. Die junge Frau hatte bereits mehrere Eileiterschwangerschaften und Fehlgeburten hinter sich. Dennoch stellte sich die Kammer hinter die Entscheidung eines hannoverschen Gynäkologen, der dem Paar die Behandlung verweigerte und sich dabei auf das Grundgesetz berief, das Ehe und Familie unter den besonderen Schutz des Staates stellt. Das unverheiratete Paar hat inzwischen die hannoversche Rechtsanwältin Margarete Fabricius Brandt eingeschaltet. Sie ist der Auffassung, daß schon „wegen der inzwischen geänderten Rechtsprechung und Gesetzeslage es nicht länger haltbar ist“, die In-vitro-Fertilisation grundsätzlich an eine bestehende Ehe zu binden. In ihrem erneuten Antrag auf Gewährung der Behandlung kann die Rechtsanwältin darauf verweisen, daß sowohl Grundgesetz als auch Bundesverfassungsgericht eine Diskriminierung nichtehelicher Kinder klar verbieten. Bei der anstehenden Reform des Kindschaftsrechts solle etwa die Unterscheidung zwischen ehelicher und nichtehelicher Abstammung fallen und durch ein einheitliches Abstammungsrecht ersetzt werden.

Auch auf den besonderen Schutz des Staates für Ehe und Familie bezieht sich die Ärztekammer nach Auffassung von Rechtsanwältin Fabricius-Brandt zu Unrecht. Das Grundgesetz schütze nach der gängigen Rechtsprechung unverheiratete Paare mit Kindern längst ebenso wie Eheleute mit Trauschein. Das oberste Gericht hat auch klargestellt, daß nicht der Trauschein, sondern die Abstammung darüber entscheidet, ob Vater, Mutter und Kinder eine Familie bilden.

Ob die niedersächsische Ärztekammer den Wandel in der Rechtsprechung nachvollzieht oder sich als letzte Bastion der Ehe geriert, ist ungewiß. Die materielle Zukunft des Kindes, das das junge Paar aus Hannover in die Welt setzen möchte, ist gesichert. Der potentielle Vater hat sich notariell verpflichtet, sämtliche möglichen Nachteile des nichtehelichen Kindes auszugleichen. Zum Standesamt wollen sich die verhinderten Eltern aber keineswegs von der Ärztekammer treiben lassen. Jürgen Voges