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Eigenlob stinkt wie Müll

Die Abfallbilanz ist bei weitem nicht so positiv wie Ministerin Angela Merkel glauben machen möchte  ■ Von Annette Jensen

Berlin (taz) – Umweltministerin Angela Merkel (CDU) ist voll des Eigenlobs: Die Abfallpolitik der Bundesregierung sei außerordentlich erfolgreich. Die Müllmengen hätten sich in den letzten Jahren immens verringert. „Deutschland hat den Weg in die Kreislaufwirtschaft eingeschlagen“, behauptet die Ministerin.

Auf den ersten Blick geben ihr die Zahlen recht, die das Statistische Bundesamt gestern veröffentlichte. 1993 wurden hierzulande 337 Millionen Tonnen Unrat produziert – zehn Prozent weniger als noch drei Jahre vorher. Außer beim Bau flachten sich in allen Branchen die Abfallberge deutlich ab. Auch die Müllmänner, die für die privaten Haushalte und Kleinbetriebe zuständig sind, schleppten 14 Prozent weniger. Die Leute auf den Recyclinghöfen hatten hingegen viel mehr zu tun als vorher, und die Grüne-Punkt-Gesellschaft (DSD) leistete ebenfalls ihren Beitrag zur Erhöhung der Verwertungsquote.

Doch Merkels Eigenlob stinkt. Denn viel Müll fällt lediglich aus der Statistik raus. „Heute bietet ein Makler die Entsorgung einer Tonne Sondermüll als Wertstoff oft schon für 50 Mark an“, weiß Christoph Ewen, Vizechef des Öko-Instituts. Vor ein paar Jahren mußten die Firmen hingegen noch einige hundert Mark abdrücken, wenn sie legal entsorgen wollten. Einer der Tricks: Der Abfall landet als Füllmasse in einem stillgelegten Bergwerk und gilt damit als Wertstoff. Über 1,7 Millionen Tonnen wurden 1994 als bergbaufremde Reststoff in alte Stollen abgekippt, ein knappes Viertel davon war gefährlicher Sondermüll. Eine Umweltprüfung für diese unterirdischen Deponien gibt es nicht – sie unterliegen dem Bergrecht. Nicht nur die Müllproduzenten profitieren davon sondern auch die Bergwerksbesitzer. Statt für Füllmasse zu zahlen, können sie für die Einlagerung abkassieren.

Auch bei der „thermischen Verwertung“, sprich Verbrennung, von Müll zum Beispiel als Reduktionsmittel im Hochofen profitieren beide Seiten. Lästige Umweltfragen spielen kaum eine Rolle, weil es für derartige Anlagen viel geringere Abgasauflagen gibt als für Müllverbrennungsanlagen. Und Frau Merkel freut sich ebenfalls: Ihre Statistik wird entlastet. Die Anfang des Jahrzehnts aufgebauten Öfen für gefährliche Stoffe sind hingegen nicht ausgelastet. „Deutlich erkennbar ist ein Rückgang der zu Sonderabfallverbrennungsanlagen angelieferten Abfälle“, schreibt das Umweltbundesamt. Dafür verantwortlich war auch der legale Export von Sonderabfällen: Gingen 1991 noch 487.000 Tonnen über die Grenzen, so waren es 1993 bereits 612.000 Tonnen. Beim Siedlungsmüll ist die Tendenz allerdings umgekehrt: Seit Frankreich illegal abgelagerte Blutbeutel und Spritzen aus deutschen Krankenhäusern entdeckt hat, bleibt fast der gesamte Haus- und Kleingewerbeabfall im Inland.

Ob Merkel in der Müllpolitik auch mehr kann, als heiße Luft produzieren, wird sich bald herausstellen. In einer Rechtsverordnung für das Kreislaufwirtschaftsgesetz muß sie definieren, was in Zukunft als „Verwertung“ gilt. Legt sie strenge Kriterien an, kann die deutsche Abfallpolitik tatsächlich einen Sprung nach vorn machen. Dann ist es nämlich für Betriebe billiger, in Müllvermeidung statt -entsorgung zu investieren.

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