: Voll Gas am Steuer
■ Die Innenräume von Neuwagen stinken vielen FahrerInnen gewaltig: Klagen über Kopfschmerzen, Übelkeit und Augenreizungen Von Rüdiger Voßberg
Alles, was neu ist, riecht auch so. Ob es die druckfrische Tageszeitung ist oder der Nadelstreifenanzug für die Beförderung. Oder das Interieur des lang ersehnten Neuwagens: Das stinkt einigen KäuferInnen ganz gewaltig. Beschwerden über starke Geruchsbelästigungen häufen sich, viele NeuwagenbesitzerInnen klagen über Kopfschmerzen und Übelkeit, Haut- und Augenreizungen. Denn nicht nur an heißen Sommertagen steht der Dunst auf der Konsole.
Innenräume von Neufahrzeugen waren schon 1992 Gegenstand einer Pilotuntersuchung des Berliner Umweltbundesamtes. Damals wiesen die WissenschaftlerInnen leichtflüchtige organische Kohlenwasserstoffe in Konzentrationen von einigen Milligramm pro Kubikmeter Luft nach. Als Quelle der giftigen Ausgasungen machten die ForscherInnen Polster, Kunststoffverkleidungen, Klebstoffe, Teppichböden, Dämmaterial, Lenkräder und Flammenschutzmittel aus. „Eine akute Gesundheitsgefährdung leite ich daraus noch nicht ab“, sagt Dr. Detlef Ullrich, Leiter der Berliner Forschungsgruppe. „Aber“, so betont er weiter, „wir wollten die Fahrzeughersteller mit diesen, nun alarmierenden Ergebnissen konfrontieren, um einen Handlungsbedarf deutlich zu machen!“
Der dürfte auch nötig sein: Unstrittig ist, daß giftige Stoffe, wie Styrol, Benzol, krebserregende Aromate wie Toluol oder Xylol ausdünsten und in die Lungenwege der Insassen gelangen. Bis zu 250 verschiedene chemische Verbindungen wabern in der Atemluft und können allergische Reaktionen hervorrufen.
Beim TÜV Norddeutschland in Hamburg ist der Handlungsbedarf inzwischen erkannt worden: „Es gibt für derartige Belastungen bisher kein gesetzliches Regelwerk, das Grenzwerte festschreiben könnte“, erklärt Dr. Michael Wensing, Leiter der Fachgruppe, die ihrerseits der Geruchsbelästigung auf die Spur kommen will, das Dilemma. Während die Berliner Studie ein „worst-case-Szenario“ dokumentiere, definiere der TÜV jedoch im Auftrag der deutschen Automobilindustrie und des Bundesumweltministeriums Randbedingungen für die Messungen in den Neuwagen. Ist das Projekt abgeschlossen – was ursprünglich Ende 1995 der Fall sein sollte, sich aber noch um einige Monate verzögert –, wird es „die Basis für ein europäisches Normierungsverfahren sein“, verspricht Wensing.
Bis dahin lebt die AutofahrerIn weiter im Dunstkreis des Lenkrades, sorgt für eine ausreichende Ventilation und öffnet die Fenster. Die Verbraucherzentrale in Hamburg will eine Gesundheitsgefährdung durch die Gase keineswegs ausschließen. „Starke Geruchsbelästigungen können Grund zur Reklamation sein. Auf jeden Fall soll man energisch dranbleiben, da die Hersteller in diesen Fällen abwiegeln“, rät Petra Kristandt von der hiesigen Beratungsstelle.
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