: Leichtes Kribbeln auf der Haut
Anfang Februar finden in Berlin die Akupunkturtage statt. Die alternative Heilmethode gewinnt immer mehr Anhänger, auch unter Ärzten. Ihre Wirksamkeit allerdings ist noch umstritten ■ Von Hella Kloss
Allein ihr Anblick, steril und einzeln verpackt, erzeugt ein leichtes Kribbeln auf der Haut. Hauchdünn und wenige Zentimeter lang ist die Nadel für eine Kopfakupunktur, ihr Pendant für die Körperakupunktur ist um weniges dicker und länger. Doch für viele Patienten sind die furchteinflößenden Stechwerkzeuge die letzte Hoffnung, um langwierige Schmerzen zu kurieren. Das „Stechen und Brennen“, so die Übersetzung des chinesischen Namens für Akupunktur, findet auch in westlichen Ländern immer mehr Anhänger.
Daß auch Ärzte der „sanften“ Behandlung verstärkt Beachtung schenken, zeigt ihr Interesse an einer Zusatzausbildung in Akupunktur. Fünf ärztliche Akupunkturgesellschaften gibt es inzwischen in Deutschland. Eine der größten, die „Deutsche Ärztegesellschaft für Akupunktur“ (DÄGfA), bietet seit 45 Jahren Kurse in der chinesischen Heilkunst an. Die Ausbildung dauert bis zu zwei Jahren, sie umfaßt mindestens zwölf Kurse mit 144 Unterrichtsstunden. Rund 5.500 Ärzte oder Medizinstudenten haben in solchen Kursen bisher gelernt, wie man die Nadel richtig setzt.
Anfang nächsten Monats, von 2. bis 4. Februar, finden in Berlin die „Akupunkturtage“ statt. Die DÄGfA organisiert sie bereits zum dritten Mal. „Der Kongreß richtet sich an Mediziner aller Fachrichtungen, auch Zahn- oder Tierärzte“, betont Britta Wuttkes, Mitorganisatorin der Fachtage. In allen Vorträgen wird die praktische Anwendung großgeschrieben. „In jedem Kurs nadelt sich der Teilnehmer selbst, um ein Gefühl für die Technik zu bekommen.“ Der Nadelstich löst beim Patienten Nervenreflexe aus, setzt körpereigene schmerzlindernde Nervenstoffe frei. Nach der chinesischen Vorstellung sollen die Nadeln die Energien des Körpers aktivieren, umleiten oder beeinflussen.
Der Akupunkturpunkt konnte inzwischen auch anatomisch nachgewiesen werden. Er ist eine Lücke im Bindegewebe, die jeweils von einem Nervenstrang sowie einem Blut- und Lymphgefäß durchzogen wird. „Wenn man den Punkt richtig trifft, sprechen wir vom sogenannten „De Qi“-Gefühl. Der Patient empfindet es als ein dumpfes Ziehen“, sagt Britta Wuttkes.
Mit der Akupunktur lassen sich Schmerzzustände ebenso behandeln wie funktionelle Störungen oder psychosomatische Erkrankungen. Auch bei Organerkrankungen kann sie als unterstützende Begleittherapie eingesetzt werden. „Vor der Behandlung ist auf jeden Fall eine westliche und eine chinesische Diagnostik erforderlich“, erklärt Antonius Pollmann vom Berufsverband Deutscher Akupunkturärzte. „Die Behandlung kann bis zu 40 Minuten dauern.“ Bei chronischen Erkrankungen könnten bis zu fünfzehn Behandlungssitzungen erforderlich sein. Nebenwirkungen träten bei einem gut ausgebildeten Akupunkturarzt praktisch nicht auf. Wer das Setzen der Nadeln nicht verträgt, kann mit einem Laser behandelt werden, eine Methode, die besonders bei Kindern geeignet erscheint. Schmerzen soll die Behandlung nicht. „Grundsätzlich“, so Britta Wuttkes, „gilt die Regel, bei akuten Schmerzen den Ort meiden, bei chronischen Erkrankungen sich ihm möglichst nähern.“ Neben der traditionellen Körperakupunktur gibt es neuere Therapieformen, die auf der Projektion des gesamten Organismus auf eine kleine Körperfläche beruhen, wie bei der Fußreflexzonenmassage. Dazu gehören die Ohr-, Schädel- oder Mundakupunktur.
Im Raum Berlin behandeln rund sechzig Ärzte mit den spitzen Nadeln, neben Heilpraktikern, die ebenfalls die Akupunktur ausüben. Eine einheitliche Ausbildung gibt es nicht. Die drei deutschen Berufsverbände bemühten sich bisher vergeblich, Ausbildungsstandards festzuschreiben und eine Zusatzbezeichnung durchzusetzen.
Unumstritten ist die Akupunktur in Fachkreisen nicht. „Kritische Gruppen in der Ärzteschaft verlangen, daß die Heilwirkung der Methode in Placebotests nachgewiesen wird. Doch bisher schnitt die Akupunktur in Untersuchungen nicht signifikant besser ab als eine Scheinbehandlung“, sagt Malte Bühring, Professor für Naturheilverfahren am Benjamin-Franklin-Klinikum in Berlin. „Pragmatiker meinen dagegen, daß die Wirkung der gesamten Behandlung, auch ihre psychische Betreuung berücksichtigt werden muß.“ In der Schmerztherapie beispielsweise sei die Akupunktur weitgehend anerkannt.
Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen anteilig Kosten der Behandlung nur, wenn ein Kassenarzt die Behandlung für notwendig hält. „Vor Beginn der Behandlung sollte sich der Patient mit seiner Kasse in Verbindung setzen und die Finanzierung absprechen“, rät Viola Matzke von der Barmer Ersatzkasse in Berlin. Privatversicherte bekommen seit Anfang dieses Jahres die Kosten für eine Akupunkturbehandlung bei Schmerzen voll erstattet.
Infos beim Berufsverband Deutscher Akupunkturärzte, Maria- Viktoria-Str. 19, 76530 Baden-Baden gegen einen frankierten Rückumschlag.
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