Endlich vernünftig steuern, statt zu paddeln

■ Ein Konzept für einen zukunftsfähigen Tourismus soll der dahindriftenden, kompetenzrangelnden deutschen Tourismuspolitik die nötigen Konturen verleihen

In der deutschen Tourismuspolitik wird „gewurstelt“, wettert Halo Saibold, tourismuspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Deshalb hat sie eine Untersuchung veranlaßt, um klarzustellen, wer welche Kompetenzen hat und welche Strukturen vorhanden sind. Auf dem zweiten tourismuspolitischen Hearing der Grünen auf dem „Reisepavillon“ in Hannover stellte das mit dem Gutachten beauftragte Nova Institut das Ergebnis vor. Und das ist ernüchternd.

Obwohl der Tourismus heute schon sechs Prozent des Bruttosozialprodukts ausmacht, schlägt sich seine wirtschaftliche Stärke nicht institutionell nieder. Hinzu kommt, daß in der Tourismuspolitik ziemlich viel gepaddelt und nur wenig gesteuert werde, kritisierte Uwe Brändle vom Kölner Institut.

Die Tourismuspolitik in Deutschland ist ein idealtypisches Opfer der Politikverflechtung. Auf allen politischen Ebenen gibt es Stellen, die für den Tourismus verantwortlich sind. Die Bundesländer haben zwar die Zuständigkeit, aber über die Umwelt-, Wirtschafts- und Handelspolitik greift der Bund direkt in den Tourismusbetrieb ein. Er vertritt auch die Tourismusbelange im Ausland. Doch unklar ist, welches Ressort für welches internationale Ereignis zuständig ist. In diesem Kompetenzwirrwarr wurden früher Vergangenheit eine Reihe widersprüchlicher Entscheidungen gefällt.

Bisher ist Tourismuspolitik in erster Linie Wirtschaftsförderungspolitik gewesen. Tourismuspolitische Maßnahmen sind einseitig auf den Markt gerichtet. Dagegen sind Umwelt- und Sozialverträglichkeit oft auf der Strecke geblieben. Gesetzliche Eingriffe wie Steuern, um den enormen ökologischen und sozialen Folgen der touristischen Aktivität gerecht zu werden, kommen nicht zum Einsatz.

Zusätzlich zum fehlenden konzeptionellen Rahmen ist dieser gesellschaftliche Bereich in hohem Maß von Egoismen geprägt. So gibt es erst seit einem Monat einen gemeinsamen Dachverband der Tourismusbetriebe, von den Reiseunternehmen bis hin zu den Gaststätten. Da bisher alle mächtigen Akteure von der Tourismuswirtschaftsförderung profitiert haben, sind sie an einer Veränderung naturgemäß wenig interessiert. Mit der EU-Kompetenz im Bereich Tourismus werden aber neue Anforderungen an das tourismuspolitische Handeln gestellt. Die verschiedenen mit Tourismus befaßten Ministerien auf Bundes- und Länderebene müssen bereit sein, ihre Kompetenzen an eine zentrale Stelle abzugeben, um durch die Bündelung der Interessen eine effektivere Tourismuspolitik zu gewährleisten. Die Tourismus-Leitlinien der Bundesregierung von 1975 jedenfalls sind überholt.

Angesichts dieser düsteren Bestandsaufnahme schlägt das Nova- Gutachten drei einschneidende Maßnahmen vor. Erstens: die Erstellung eines Konzepts für einen zukunftsfähigen Tourismus von staatlicher Seite. Das gehöre zu seinen originären Aufgaben. Für Halo Saibold von Bündnis 90/Die Grünen beinhaltet zukunftsfähiger oder nachhaltiger Tourismus immer die Sozial- und Umweltverträglichkeit. Ein solches Konzept müsse ganz konkrete Ziele formulieren, die überprüfbar sein müßten. Zweitens: eine interministerielle Arbeitsgruppe zur verbesserten Koordination. Drittens: die Einrichtung eines „Deutschen Instituts für zukunftsfähigen Tourismus“. Jüngst gab es Initiativen für ein solches Gebilde. Doch über die Ausgestaltung dieses Tourismushauses wird heftig gestritten. Forschung wollen die einen, Koordination und Aufbereitung von Informationen die anderen.

In der Diskussion wurde bemängelt, daß die ohnehin schon schwachen Nichtregierungsgruppen nicht in das dargestellte Konzept eines sozial- und umweltverträglichen Tourismus eingebunden seien. Das habe eine weitere Ausgrenzung zur Folge. Georg Fritz vom Bundesamt für Naturschutz bezweifelte, ob sich durch ein solches Konzept gerade die ökologischen und sozialen Mängel beheben ließen. Als Alternative schlug er vor, über eine Stärkung des Umweltschutzbereiches eine zukunftsfähige Tourismusentwicklung anzustreben. Kritisiert wurde auch, daß der sozialen Seite des Tourismus in den vorgeschlagenen Maßnahmen immer noch zu wenig Bedeutung eingeräumt werde. Mechtild Maurer