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Türkische Polizisten als Mörder entlarvt

Eine vom Innenministerium in Ankara eingesetzte Kommission stellt fest: Der Journalist Metin Göktepe wurde von Ordnungshütern zu Tode geprügelt. Der Bericht empört die Polizei  ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren

Über den Polizeifunk stießen die verärgerten Polizisten ihre Drohungen und Beleidigungen aus: „Die Terroristen sind unter uns, machen wir mit ihnen kurzen Prozeß“, „Hurensöhne“, „Psychopathen“. Doch dieses Mal waren nicht Demonstranten, Regimegegner und Menschenrechtsaktivisten Ziel des polizeilichen Hasses, sondern die Polizeichefs. Grund des Aufruhrs: Fünfzehn Polizisten waren wegen Beteiligung am Mord des Journalisten Metin Göktepe festgenommen worden. Die Möglichkeit, daß in der Türkei selbst ein Foltermord in Polizeihaft zur Rechenschaft gezogen werden könne, schreckte die im Staatsdienst tätigen Täter. Mit den Worten „Beruhigt euch, Freunde, beruhigt euch“ versuchte die Funkzentrale die meuternden Polizeibeamten zur Räson zu bringen.

Der Mord an dem Journalisten Metin Göktepe, der für die linke Tageszeitung Evrensel arbeitete, steht kurz vor der Aufklärung. Eine vom Innenminister in Ankara eingesetzte Kommission hat ihren Abschlußbericht erstellt. Darin werden fünfzehn Polizisten — unter ihnen drei hochrangige Polizeifunktionäre — beschuldigt, unmittelbar bei der Ermordung mitgewirkt oder durch Verletzung von Dienstpflichten mit zu dem Mord beigetragen zu haben. Die Kommission vernahm im Laufe ihrer Arbeit über 200 Polizeibeamte, die am 8. Januar in Istanbul im Einsatz waren. Es war der Tag der Beerdigung der Strafgefangenen Orhan Özden und Riza Boybaș, die im Zuge eines Gefängnisaufstandes zu Tode geprügelt worden waren. In einer großangelegten Operation verhinderte die Polizei damals einen Trauerzug. Es kam zum Knüppeleinsatz und zur Festnahme — so der Bericht der Kommission — von 1.054 Menschen, die in der Sporthalle in Bezirk Eyüp eingesperrt wurden. Vor Dutzenden von Augenzeugen wurde der Journalist Göktepe zu Tode geprügelt. Später wurde seine Leiche wenige hundert Meter von der Sporthalle entfernt gefunden. Der Autopsiebericht wies nach, daß Göktepe an den Folgen der Schläge auf seinen Kopf gestorben war. Wo der Kreis der Täter zu suchen ist, war zu offenkundig. Es kam zu Massenprotesten, die Journalistenverbände machten mobil. Eine Delegation des Journalistenverbandes wurde bei der türkischen Ministerpräsidentin Tansu Çiller vorstellig. Nichtsdestotrotz versuchten der Polizeiapparat und die verantwortliche Politiker den Fall zu vertuschen.

Der berüchtigte Istanbuler Polizeichef Orhan Tașanlar, der seit wenigen Monaten im Amt ist („Ich bin gekommen, um Köpfe abzureißen“) leugnete zuerst, daß Göktepe überhaupt in Polizeihaft gewesen sei. Ministerpräsidentin Çiller schloß sich ebenfalls dieser Version an. Später gab Innenminister Teoman Ünüsan bekannt, daß Göktepe von einer Mauer gefallen und gestorben sei. Erst als erdrückende Beweise vorlagen — Filmmaterial türkischer Privatsender und zahlreiche Augenzeugenberichte — wurde die Darstellung geändert. Es hieß, Göktepe sei zwar festgenommen worden, doch sei er erst nach seiner Freilassung eines natürlichen Todes gestorben. Schließlich beugte man sich dem öffentlichen Druck; der erschreckende Abschlußbericht der Kommission wurde abgeschlossen.

Doch von einer Wende in der staatlichen Politik kann nicht die Rede sein. Der Istanbuler Polizeichef Orhan Tașanlar bleibt weiter im Amt. Hinzu kommt, daß Dutzende von unaufgeklärten Journalistenmorden in den vergangenen Jahren immer „professionell“ durchgeführt wurden: Attentate beziehungsweise das „Verschwindenlassen“ ohne Augenzeugen sind üblich. Die Täter werden nie gefaßt. „Stümperhaft“ war dagegen der Mord an Göktepe — halböffentlich unter den Augen Hunderter Menschen in der Sporthalle. Zwielichtig sind auch die Umstände, wie die wegen des Journalistenmords festgenommenen Polizisten behandelt wurden. Einer von ihnen stellte Strafantrag: Er sei von Kollegen gefoltert worden.

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