Nicht schlecht, Herr Specht!

■ Der Dokumentarfilm "Oh Mitternacht, Oh Sonnenschein" würdigt das politische Engagement von Christian Specht. Zur Premiere kamen über 200 Zuschauer

Christian Specht traf ich 1986 zum ersten Mal – in der U-Bahn, Linie 1, wo er mit einem Tonband nebst Mikrophon aus Massivholz einige Fahrgäste interviewte. Zum Glück nicht mich! Er war von schwerer Statur und so impertinent, daß viele der Interviewten sich arg bedrängt fühlten: augenscheinlich ein Verrückter! Aber wie harmlos?

Seit ihrer Gründung war die taz immer auch Obdach und sogar Büro für irgendeinen draußen ungewöhnlich Gemaßregelten. Mit Christian Specht kam 1987 zum ersten Mal jemand, der draußen nicht gescheitert war, sondern – im Gegenteil – immer wieder einen direkten Bezug zur „Bewegung“ herstellte: Bei jeder Demonstration, Hausbesetzung oder Massenveranstaltung war er dabei.

In den ersten Jahren meist ausgerüstet mit hölzernen, bemalten ZDF-Kameras, -Mikrophonen, -Gitarren und -Gewehren („Man kann mit einer Kamera eine ganze Stadt in Schach halten!“ Andreas Baader). Dazu besaß Christian noch „echte“ Presseausweise, die ihm taz-Kulturredakteurin Sabine Vogel regelmäßig neu ausstellte – er verlor sie immer wieder. Es kam deswegen sogar einmal zu einer kleinen Anfrage der CDU.

Auch ohne dieses alberne Polit- Echo war Christians „Holz-Journalisten“-Phase schon ziemlich genial. Und so nimmt es nicht wunder, daß der Avantgardist Stiletto ihn bald „entdeckte“ – und ein Interview mit ihm im Merveband „Berliner Design“ abdruckte sowie eine Sammlung Spechtscher Holz-Objekte anlegte, die er bald teuer verkaufen konnte. Für Christian waren diese von einem Tischler-Kollektiv hergestellten Utensilien irgendwann abgelebt, und er wechselte zu Symbolen, Fahnen und Parteien.

Der taz hielt er weiterhin die Treue, sogar einen Schreibtisch hat er dort mittlerweile, und immer wieder findet sich ein taz-Mitarbeiter, der seine Parolen oder Flugblätter vormalt. Auch Christians Geldsammlungen für irgendwelche Veranstaltungen beginnen meist in der taz. Denn mit der Bewegung in Kontakt zu bleiben, das kann mitunter teuer werden: Als ihn einmal die Autonomen nicht zu einer Antifa-Demo nach Plauen mitnehmen wollten, nahm er z.B. kurzerhand ein Taxi für 500 DM.

Jetzt haben zwei Filmer, Imma Harms und Thomas Winkelkotte, einen Film über ihn gedreht: „Oh Mitternacht, Oh Sonnenschein“. Harms war früher taz-Redakteurin, für Winkelkotte ist es die Abschlußarbeit an der Film- und Fernsehakademie. Die 52minütige Dokumentation wurde am Samstag vor über 200 begeisterten Zuschauern im Künstlerhaus Bethanien uraufgeführt.

Auch ich war begeistert, dennoch ist der Film erst ein Anfang in der Auseinandersetzung mit Christian Spechts politischem Engagement. Dazu gehört auch seine Vorliebe für Volksmusik – die er im Stil von Karaoke (ohne Bildschirm) eine Weile lang sogar in der taz-Kantine vortrug, bevor diese an einen ostdeutschen Bildhauer vermietet wurde. Sehr gut war dazu im Film schon mal die Spechtsche Spontan-TV- Show auf den Treppen vor dem Bethanien-Haus.

Dann sein Wirken in den Parteien des Preußischen Landtags – bei FDP, Grünen, SPD und PDS. Sie alle besucht er regelmäßig, er läßt sich mit ihren Emblemen und Mitgliedschaften ausstatten und trägt ihnen seinerseits Neues aus der Bewegung zu. Selbst die „Zivischweine“, „Zivilbullen“ im Polizeijargon genannt, kennt er fast alle – und enttarnt sie immer wieder gerne in situ, indem er sie bittet, sich auszuweisen. Manchmal fühlte er sich auch gezwungen, sie anzuschreien. Dafür wurde er aber auch von ihnen schon öfter zusammengeschlagen. Einige Polizeikontakte werden im Film mit wackeliger Kamera genüßlich mitverfolgt, die PDS wird dagegen arg vernachlässigt: Dabei ist sie die noch am meisten an Bewegungen interessierte Partei. Dafür zeigt der Film einen Aspekt von Christian Spechts Leben, den ich bisher noch gar nicht kannte: den als Sozialfall tendenziell von „Ausgrenzung“ Bedrohten. Hierzu wurden im Film neben dem taz-Empfangskollektiv ehemalige Lehrerinnen sowie die Oma des amtlich als Analphabeten Anerkannten zitiert.

Beim Betrachten des Films wird deutlich, wie wichtig Christians Arbeit an und mit den etablierten Parteien ist (bei der PDS-Fraktion weiß man das im übrigen selbst). Es ist genaugenommen eine Fortsetzung seiner holzjournalistischen Tätigkeit im Virtuellen, wie man heute gerne sagt: am „Logo“. Und sie war notwendig: In Gambia werden auf Wochenmärkten schon jede Menge Audio-High-Tech- Geräte verkauft, die aus Vollholz geschnitzt sind. In der taz verpaßt man sich gerade selbst eine „Reportage“-Schulung von einem Geo-Journalisten. Und die Politik? Es würde mich nicht wundern, wenn Herr Specht demnächst als Investor erfolgreich auftritt: das Lächeln dazu hat er. Helmut Höge