■ Mit der Schweizer Chemie auf du und du
: Es brodelt in Basel

Basel (taz) – Der Ruf der Schweiz als Land ohne Streiks könnte schon bald der Vergangenheit angehören. Die in der Schweizer Chemiebranche seit 50 Jahren praktizierte „Friedenspflicht“, also die gütliche Einigung von Branchenverbänden und Gewerkschaften bei Lohnverhandlungen, scheint zu Ende zu sein. Zwar haben sich die Partner auf einen Teuerungsausgleich von 1,5 Prozent und auf einzelbetriebliche Verhandlungen geeinigt. Hart bleiben die Gewerkschaften aber in der Frage, wie künftig im Rahmen des Gesamtarbeitsvertrags über Löhne gefeilscht werden soll. Während die drei Basler Chemiekonzerne Roche, Sandoz und Ciba in erster Linie mit den „Arbeiterkommissionen“, einer Art Betriebsräte, an einem Tisch sitzen wollen, bestehen die Gewerkschaften auf ihrer Position als Verhandlungspartner. Sie befürchten, die Kommissionen könnte die Belegschaftsvertreter einzeln über den Tisch ziehen und erwarten zudem eine Präzedenzwirkung für andere Branchen.

Am Freitag fand in Basel eine Demo statt und in diesen Tagen geht die Urabstimmung der Gewerkschaftsmitglieder über die Frage zu Ende, ob eine Einigung mit Streiks erkämpft werden soll. 60.000 bis 70.000 Menschen verdienen heute in der Schweiz ihr Geld in der Chemieindustrie. In den letzten zehn Jahren hat die Gewerkschaft in diesem Bereich die Hälfte ihrer Mitglieder eingebüßt. Dazu kommt, daß in der Chemiemetropole Basel in den letzten fünf Jahren 3.500 Stellen abgebaut wurden. Und durch die Zusammenarbeit mit der deutschen BASF dünnt Ciba im Bereich Textilfarbstoffe bis 1999 zusätzlich 600 Stellen aus. Erst vor zwei Wochen hatte der Konzern angekündigt, durch die Zusammenlegung der Führung zweier Werke bis im Mai weitere hundert Stellen einzusparen. Kein Wunder, daß die Stimmung „nicht überbordend kampfeslustig“ ist, wie der Verhandlungsführer der Gewerkschaften Hans Schäppi einräumt.

Kommt es ausgerechnet beim wirtschaftlichen Aushängeschild Großchemie zu Warnstreiks, könnte das Bild der sozialen Stabilität in der Schweiz leicht Kratzer abbekommen. „Was die Chemie jetzt praktiziert, ist dem Standort Basel sicher nicht zuträglich“, gibt Gewerkschafter Schäppi zu bedenken. Doch allzuviel Bauchweh dürfte das bröckelnde Image in den Chefetagen von Roche, Sandoz und Ciba nicht auslösen: Letztere hatte erst am Mittwoch für 1995 einen Reingewinn angekündigt, der „beträchtlich über jenem des Rekordjahres 1994“ liegt. Pieter Poldervaar