: „Altertümliche Maschine“
■ Sturz einer Achtjährigen aus der Freimarkts-„Krake“: Bewährungsstrafe für Kontrolleur Bewährungsstrafe
Ein paar Mark für einen harmlosen Freizeitspaß – so hatten Hindrike, ihre Freundin Svenja und deren Vater sich den 28. Oktober 1993 vorgestellt. Doch dann trat das krasse Gegenteil ein. Bis heute ist die Fahrt in der „Krake“, die sonst höchstens ein paar Minuten dauert, für sie nicht abgeschlossen: Hindrike flog damals aus der Gondel – aus drei Metern Höhe. Bis heute leidet sie unter den Folgen der schweren Verletzungen – und auch Freundin Svenja und deren Vater haben das Unglück von damals noch nicht vergessen. Das war den Zeugenaussagen deutlich anzumerken, die sie gestern vor dem Amtsgericht abgaben. Dort war ein Kontrolleur des Fahrgeschäfts wegen fahrlässiger Körperverletzung angeklagt.
Neun ZeugInnen, darunter die beiden Mädchen Svenja und Hindrike, waren geladen, um den Fall zu verhandeln. Gute vier Stunden dauerte die Sitzung. Dann erging der Richterspruch: Sechs Monate auf Bewährung – wegen der schweren Folgen des Unfalls. Der Kontrolleur habe die Fürsorgepflicht für sein „schutzbedürftiges Klientel“ vernächlässigt – schließlich sei er „vorrangig für die Sicherheit da, und erst nachrangig zum Kassieren der Fahrchips“, so der Richter. „Da ist ein Fehler geschehen, der immer wieder passieren kann“ – insbesondere an altertümlichen Maschinen wie der Krake, so der Richter. Trotzdem müsse der Angeklagte zu diesem Fehler stehen – auch wenn für ihn spreche, daß er während der Verhandlung sachdienlichere Hinweise als so mancher Zeuge geliefert hatte. „Daß Sie sich selbst beschuldigen, kann man schließlich nicht erwarten.“
Mit der Unschuldsbeteuerung des Angeklagten hatte der Prozeß begonnen: Er habe seine Arbeit gewissenhaft ausgeführt. „Ich bin hundertprozentig sicher, daß ich den Bügel angedrückt habe“, erklärte der 39jährige L. vor Gericht. Der Bügel, das ist ein metallener Stab, der wie ein Sicherheitsgurt funktioniert. „Wie das Mädchen aus der Gondel fallen konnte, das verstehe ich nicht.“
So ganz scheinen das auch Svenja und Hindrike bis heute nicht zu verstehen: „Ich habe nichts gesehen“, erklärte die zierliche Svenja im Zeugenstand. Ihr sei schwindelig gewesen – und erschöpft sei sie gewesen. Dann beschreibt sie dem Gericht eine fürchterliche Situation: Wie sie und Hindrike den Sicherungsbügel aus Metall immer wieder angstvoll zu sich herunter zogen – und wie der Bügel einfach nicht untenblieb. Unten – das wäre in der Hüftbeuge der Mädchen gewesen. Dort hätte der Metallstab einrasten sollen, damit die Kinder sicher sitzen. Aber der Mann hatte nur den Chip kassiert, „und nicht nach dem Bügel geschaut“, sagen beide Kinder. Stattdessen war der Bügel mit zunehmender Drehung und Bewegung der Krake auf und ab geschwappt. Mit ihm die Kinder. „Wir konnten doch nicht rufen. Es hätte uns doch niemand gehört“, sagen beide vor Gericht – so als hätten sie Grund für ein schlechtes Gewissen, weil sie niemanden auf ihre verzweifelte Lage aufmerksam machen konnten. Svenjas Vater muß noch heute die Tränen wegschlucken, wenn er daran denkt, „welche Todesängste die beiden Mäuschen ausgehalten haben.“
Ein Ende hatte das Grauen erst mit Hindrikes Sturz aus der Gondel gefunden – ein vorläufiges. Denn immer noch ist Hindrike in ärztlicher Behandlung. Zwei Monate war sie nach dem Unfall im Krankenhaus, fünf Tage davon im Koma. Der gestrige Richterspruch brachte ihr nicht einmal einen juristischen Schlußstrich: während der Verteidiger des Krake-Kontrolleurs „wahrscheinlich Berufung“ einlegen will, werden Hindrikes Eltern das Fuhrunternehmen verklagen. Das Kind gilt zu 50 Prozent als behindert.
ede
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