: Schnurs direkter Draht zur Stasi
Der DDR-Anwalt und Ex-Vorsitzende des Demokratischen Aufbruchs, Schnur, steht wegen „politischer Verdächtigung“ seiner Mandanten Klier und Krawczyk vor Gericht ■ Aus Berlin Karin Flothmann
Er galt zu DDR-Zeiten als vertrauenswürdiger Jurist, der sich engagiert für die Belange von Regimekritikern einsetzte. Seit gestern muß sich der ehemalige Rechtsanwalt Wolfgang Schnur vor der zweiten Großen Strafkammer des Berliner Landgerichts wegen Denunziation und Bespitzelung eigener Mandanten verantworten. Als Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi, so lautet der Vorwurf der Anklage, soll Schnur 1988 seine damaligen Mandanten, die Regisseurin Freya Klier und den Liedermacher Stephan Krawczyk, beim Ministerium für Staatssicherheit angeschwärzt haben.
Schnur, der schon seit 1965 unter den Decknamen „Torsten“ und „Dr. Ralf Schirmer“ für das MfS tätig war, soll im Januar 1988 seinem Führungsoffizier mitgeteilt haben, daß sowohl Klier als auch Krawczyk „einen sehr starken Verbindungskanal zum ARD- Fernsehstudio“ hätten. Zwei Tage später wurde Stephan Krawczyk festgenommen, vermutlich jedoch nicht aufgrund dieser Äußerungen, sondern aufgrund seiner Teilnahme an einer Demonstration. Ihm wurden damals „kriminelle Handlungen“ zur Last gelegt. Ende Januar wurde auch Freya Klier festgenommen.
Anfang Februar 1988 soll Schnur zudem die Stasi darüber informiert haben, daß auf dem Dachboden im Hause Kliers Manuskriptteile eines Buches versteckt seien, „das sich mit der politischen Situation in der ehemaligen DDR auseinandersetzte“. Infolge dieser Informationen, so die Anklageschrift, „war nicht auszuschließen“, daß gegen die beiden Regimekritiker ein Verfahren „wegen staatsfeindlicher Hetze und landesverräterischer Agententätigkeit eingeleitet werden könnte“. Dies wiederum hätte „einen schweren Verstoß gegen das Menschenrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und auf freie Meinungsäußerung dargestellt“. Stephan Krawczyk und Freya Klier verließen am 2.2. 1988 entgegen ihrer Überzeugung die DDR.
Die Anklage des Berliner Landgerichts stützt sich auf den §241a des Strafgesetzbuches, der den Straftatbestand der politischen Verdächtigung definiert. Danach kann eine Person mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft werden, wenn sie eine Mitteilung über einen anderen macht und ihn dadurch der Gefahr einer politischen Verfolgung aussetzt. Die Rechtsanwälte Schnurs reklamierten zu Beginn des gestrigen Verfahrens prompt, dieser Paragraph sei ein „Relikt des Kalten Krieges, um mit Strafandrohung in die inneren Angelegenheiten der DDR einzugreifen“. Ein entsprechender Antrag auf Einstellung des Verfahrens wurde von der Staatsschutzkammer des Berliner Landgerichts abgelehnt.
Schnur selbst verzog während der Verlesung der Anklageschrift keine Miene. Anschließend wies er alle gegen ihn erhobenen Vorwürfe zurück. Die Anklage, so Schnur, beruhe auf „zurechtgebogenen Darstellungen“. Das MfS hätte auch ohne sein Zutun Informationen über die beiden Oppositionellen erhalten. Zugleich räumte er jedoch ein, daß er seinem Führungsoffizier Informationen über die beiden Bürgerrechtler geliefert habe. Dies sei in Absprache mit seinem Führungsoffizier und in enger Zusammenarbeit mit dem damaligen Konsistorialpräsidenten der evangelischen Kirche, Manfred Stolpe, geschehen.
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