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Praxis Dr. Modem

■ Was bringt das Internet uns Patienten? Medizinische Ratschläge online helfen nur in den seltensten Fällen weiter

Wer morgens krank aufwacht, hat heute zwei Möglichkeiten: entweder zum Arzt oder ins Netz. So sehen es zumindest Werbestrategen, die uns das Internet als Helfer in allen Lebenslagen unterjubeln wollen. Seit dem Einzug des World Wide Web ins Wohnzimmer des fortgeschrittenen Bürgers gehören nicht mehr nur Wissenschaftler, sondern auch der Hausarzt und sein Patient zur Zielgruppe. Sie haben eine Inflation kommerzieller Medizin-Server ausgelöst.

Angesichts überfüllter Wartezimmer und der dort lauernden Ansteckungsgefahr klingt die Aussicht auf Gesundheitsinformationen frei Haus verlockend. Mein Fieberthermometer zeigt 38,5 Grad Celsius. Ob es sinnvoll ist, vor dem Einloggen die Körpertemperatur in Fahrenheit umzurechnen, um für den voraussichtlichen Mangel an deutschsprachigen Medizin-Homepages gewappnet zu sein? Kopfweh, Gliederschmerzen und ein Kratzen im Hals – was heißt das bloß alles auf Englisch?

Doch auch deutsche Netzangebote geraten zum Bildungstest. Die meisten Web-Seiten, von Anästhesie (http://gasnet.med.yale .edu) bis Veterinärmedizin (http:// netvet.wustl.edu/vetmed.htm), sind erst hilfreich, wenn man nicht nur die Beschwerden, sondern auch das Krankheitsbild kennt. Weil die virtuelle Sprechstunde noch nicht erfunden ist, ist Selbstdiagnose angesagt.

Mal sehen, was der Health-Online-Service (HOS) des Burda- Verlags meint (http://www.hos .de). Ein rotes Männchen teilt mir mit, daß ich nichts wissen darf, wenn ich kein Medizinstudium absolviert habe. Normalbürger können lediglich eine „Guided Tour“ absolvieren. Neben gesperrten Archiv- und Datenbankzugängen findet sich immerhin ein Fachartikel zum Thema Grippe: „Von einer Grippeschutzimpfung profitieren nicht nur Risikogruppen wie ältere Menschen, sondern auch gesunde Angehörige jüngerer Altersgruppen, die im Berufsleben stehen...“

Das nützt mir nun auch nichts mehr. Das Suchmodul der HOS- Datenbank läßt sich zwar bereitwillig mit den Worten „Grippe“ und „Influenza“ füttern, doch dann verabschiedet sich der Rechner in eine Endlosschleife. Tschüs!

Ich versuche mein Glück bei http://www.medizin-forum.de, einem Teilbereich des Medizinischen Online-Projekts MOP. Hier gibt es die Medizinische Online- Zeitung (MOZ, http://www.dmoz .com). Zielgruppe sind – wie bei Burda – Mediziner und Wissenschaftler. Wenigstens darf ich auch ohne höhere Doktorweihen weiterlesen. Zu meiner Grippe steht leider auch nichts darin, dafür viel über die klinische Behandlung von Myokardinfarkten. Abhilfe verspricht schon eher das Patientenforum (http://www.medizin-forum .de/HyperNews/get/forums/), das deutsche und internationale Newsgroups aufzählt. In „de.alt. Naturheilkunde“ lerne ich Neues über die Geheimnisse des Teebaumöls und die Topographie der Bachblüten-Hautzonen, für die Dietmar Krämer auf seiner Homepage eine hübsche Übersicht gebastelt hat (http://www.orworld.compuserve .com/homepages).

Ob mir Bachblüten helfen? Jedenfalls mehr als die restlichen Links, die von gynäkologischer Selbsthilfe bis zum chronischen Erschöpfungssyndrom (CFS) reichen. Die CFS-Gruppe hat sich sogar die Mühe gemacht, Literatur und Symptome aufzulisten. Das sollte es auch für andere Krankheiten geben. „Informationen für jedermann“ verheißt der Server der Galileo-GmbH (http://www.medi zin.de). Abgesehen vom Ausschluß der weiblichen Bevölkerungshälfte bleibt mir ohnehin verwehrt, das Versprechen zu prüfen: Die Links laufen alle ins Leere. Auch der Med-Online-Service (http://www.med-online.de) ist nicht weiter. Es gibt einen Link des schönen Titels „Die 30 wichtigsten Krankheiten“. Dahinter steht ein Baustellenzeichen.

Wohin weiter im Netz? Der Server der Universität Karlsruhe bietet ein Verzeichnis deutscher Medizin-Sites (http://www.rz.uni karlsruhe.de/outerspace/virtual Library/), doch inzwischen dröhnt mein Kopf so sehr, daß ich gar nicht mehr wissen will, was die Viren mit meinem Körper alles anstellen. Ein Medikament muß her, aber schnell. Pharmazeutische Informationen gibt es im PharmWeb (http://www.mcc.ac.uk/pharm web), über Epidemien läßt sich unter http://chanane.ucsf.edu/epidem nachlesen – doch so wissenschaftlich wollte ich meine Grippe eigentlich nicht angehen.

Genau das ist das Problem der meisten medizinischen Web-Seiten. Sie nützen nur denen etwas, die schon wissen, was sie suchen. An eine deutschsprachige Datenbank („Searchengine“ auf netzdeutsch), die nach dem Eintippen der Beschwerden mögliche Diagnosen und Therapien ausspuckt, hat offenbar noch niemand gedacht.

Natürlich gibt es auch in T-Online und CompuServe Foren für Gesundheitsapostel, chronisch Kranke und Dauerdiskutierer. („Sodbrennen: Wer weiß Hilfe?“) Doch die Suche nach der richtigen Information zur richtigen Zeit erweist sich oft genug als Stochern im Nebel therapeutischer Ratschläge vom Typ „Das hat meiner Oma auch geholfen“.

Was bleibt bei Grippe und Ratlosigkeit? Eigentlich nur, selbst eine Frage ins Forum zu stellen. „Habe Fieber, Schüttelfrost und Gliederschmerzen. Ist das Grippe, und, wenn ja, was soll ich tun? Bitte keine Impf-Apostel!“ schreibe ich und komme mir ähnlich blöde vor wie beim Aufgeben einer Kontaktanzeige. Bevor die ersten Antworten eintrudeln, rufe ich meinen Hausarzt an und lasse mir einen Termin geben. Andrea Wellnhofer

andrea@infinte.de

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