Durchs Dröhnland: Hüpfende Effektgeräte
■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche
Ornament & Verbrechen waren eines der wenigen Beispiele dafür, daß man sehr wohl über dem angestrengt anstrengenden Avantgardistendasein nicht das Tanzbein verkümmern zu lassen braucht. Die zwei Herzen, die, ach, in ihren Brustkästen schlugen, führten zwar einen recht heftigen Kleinkrieg, der zu Irritation und Enttäuschung im Publikum führte, aber oftmals freudige Überraschungen hervorzauberte. So auch das neueste Side-Projekt der Herren Jestram und Lippok, die sich als Tarwater an einer irgendwie verdubbten Vorstellung von Rock versuchen. Das hört sich vor allem cool an wie Hundeschnauze, überaus schön, da klappern die Eiswürfel im Whiskeyglas vor Freude, und Lou Reed bekommt verdientermaßen wieder einmal ein paar Schippen auf seinen Sarg geworfen. Aber da man bei Jestram/Lippok nie weiß, was live passiert, und man sich fragt, wie zum Teufel die plötzlich auf Rock verfallen sind, läßt sich eigentlich nichts vorhersagen.
Heute, 23 Uhr, Roter Salon der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Mitte
Irgendwo hoch oben in Norwegen, nördlich noch des Polarkreises, gibt es eine kleine Hafenstadt, die heißt Bodo. Die Musikanten dort vermißten wohl vor allem die Sonne, also spielten sie Reggae, damit es wenigstens im Bauche schön warm werde. Nur der Gitarrist kann sich manchmal nicht beherrschen und streut einen New-Wave-Riff ein. So entstanden Irie Darlings, und die schickten ihr Demo-Tape nach Kingston, und seitdem haben sie eine Plattenfirma in Jamaika. Sly & Robbie haben sich und ihre berühmten Namen zur gemeinsamen Jam Session zur Verfügung gestellt, wobei die Hit-Single „Tribulation“ fabriziert wurde. Sogar ein paar von den Skatalites haben was für sie geblasen, und noch viele mehr sorgten dafür, daß sich die skandinavischen Freunde recht wohl fühlten trotz hoher Luftfeuchtigkeit. Das merkt man ihrer Musik an, selbst wenn sie plötzlich einen Rockausfall haben.
Heute, 22 Uhr, Pfefferberg, Schönhauser Allee 176, Prenzlauer Berg
Heimlich, still und leise haben sich Grotus aus San Francisco gemausert von einer Kapelle, die mit Gimmicks auf sich aufmerksam machen mußte (2 Bässe, dämliche Kopfbedeckungen), zu einer Erweiterung des Industrial- Ansatzes. Zwar bollern die beiden Bässe immer noch, was das Zeug hält, aber quer schießen HipHop-Beats, Metal-Breaks und Samples wie nix Gutes. Da wird zum Beispiel ein ganzer Song ausschließlich mit Schnipseln aus den nachmittäglichen Fernseh- Talk-Shows unterlegt, inklusive Beschimpfungen und Zensurpiepsen – und dabei groovt es unglaublicherweise auch noch.
Heute, 21 Uhr, marquee, Hauptstraße 30, Schöneberg
Was soll man noch sagen über Giant Sand? Alle Jahre wieder gibt es eine neue Platte! Und diesmal sogar zwei, dafür aber live. Mal elektrisch verstärkt, mal akustisch, also die beiden Extreme, von denen man nie weiß, in welchem sich Howe Gelb gerade am liebsten suhlt. Klar ist wie immer nur: Der Tequila muß fließen, die Ansagen werden immer länger und die Songs auch, das Bett rückt in immer weitere Ferne, und die Lieblingssongs kommen sowieso nicht. Vielleicht gerade deshalb ist ein Besuch bei Märchenonkel Howe immer wieder schön.
So., 4. 2., 20.30 Uhr, Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg
Noch mehr Althelden revisited: CIV sind so was wie eine Hardcore-Supergroup und setzen sich zusammen aus Exmitgliedern von Gorilla Biscuits, Quicksand oder Youth of Today, um nur die Wichtigsten zu nennen. Und wie es sich für solche Koryphäen gehört, spielen sie einen nahezu klassischen Postpunk, der viel von Songaufbau und aufbauenden Texten hält. Und über allem schwebt ein für diese Szene fast unglaubliches Stilbewußtsein: Die Haare sind dandyhaft exakt frisiert, und selbst vor Anzügen schrecken sie hin und wieder nicht zurück. Wahrscheinlich sind CIV auch nur ein Versuch, das momentane Punk-Hoch zu nutzen, aber wenigstens kann man es ihnen gönnen, den alten Haudegen, die sie sind.
Mo., 5. 2., 20.30 Uhr, Loft
Ich meine, wer braucht eigentlich noch Gitarristen? Es gibt doch Computer! Gary Lucas ist Gitarrist und steht noch dazu. Genauer gesagt hängt er sich nicht nur eine Gitarre um den Hals, sondern kann sie auch noch richtig gut spielen. Das hat er schon früh bewiesen. In den Achtzigern spielte er hauptsächlich für den großen Captain Beefheart, ansonsten und später für Hinz und eher selten für Kunz: Iggy Pop, Nick Cave, Lou Reed, Dr. John, die Liste wäre endlos. Er hat es auch mit eigenen Bands versucht. Einmal hat er sich ein paar versprengte Woodentops für einen Popversuch geangelt, dann Jon Langford von den Mekons und Tony Maimone von Pere Ubu für The Killer Shrews. Hat alles nicht so recht hingehauen.
Heute hat er zwar noch eine Band namens Gods and Monsters, aber seine Möglichkeiten schöpft er nur ganz allein aus, so wie diesmal. Da wird geschrammelt und gepickt, hüpfen die Effektgeräte wie Rumpelstilzchen und wird noch was Überflüssiges gefriemelt.
Man kann sich ganz schnell über die angeberische Fingerverknoterei ärgern, dann steigt das unsympathische Antlitz von Al Di Meola vor dem geistigen Auge auf, aber wenn man lang genug zugehört hat, entsteht doch tatsächlich das Gefühl, nichts zu vermissen, zu versinken zwischen diesen sechs Saiten. Wer braucht schon Sänger, wer eine Rhythmusgruppe?
Di., 6. 2., 22 Uhr, Café Zapata im Tacheles, Oranienburger Straße 53, Mitte
Zapp & Roger (wobei der Zusatz relativ neu ist und sich auf den Chef Roger Troutman bezieht) entstanden wie so viele andere als Splitterformation einer der diversen George-Clinton-Projekte. Mitgenommen hatten sie von dort die Sehnsucht nach dem All, die Stimmverfremder und die Ahnung, wie man einen ebenso endlosen wie endgültigen Groove spielt. Auch wer Zapp nicht kennt, hat sie wahrscheinlich schon mal gehört, denn wie Meister Clinton selbst wurden auch ihre einschlägigen Tanzbodenhits gerne für HipHop-Breakbeats gesampelt.
Mi., 7. 2., 20.30 Uhr, Loft
Wer immer noch beleidigt ist, daß Clawfinger Berlin links liegenließen, kann sich mit Sugar Ray trösten. Auch in Los Angeles kann es so stumpf zugehen, daß es schon wieder Spaß macht, wenn der Crossover aus HipHop und Hardcore betrieben wird. Freunde von blutigen Stirnen finden dort geeignete und willige Kontaktpersonen. Die Wunden können verbunden werden, wenn sie ihre von sich überzeugten Soul-Karikaturen abliefern.
Do., 8. 2., 21 Uhr, Trash, Oranienstraße 40/41 Thomas Winkler
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen