■ Der Skandal um die gefälschten Fernsehbeiträge trifft den Journalismus härter als seinerzeit die „Hitler-Tagebücher“: Die Boulevard-Falle
Wahr ist, es gibt rechtsextreme Ku-Klux-Klan-Gruppen in Deutschland. Trotzdem sendete „Stern-TV“ gefälschte Bilder der Kapuzenmänner, fabriziert vom vielbeschäftigten Produzenten Michael Born.
Wahr ist, Jäger neigen dazu, auch Wildkatzen abzuknallen. Trotzdem fälschte der Produzent für „Stern-TV“ seinen Bildbeweis.
Wahr ist, Kinder werden in der sogenannten Dritten Welt unter anderem als Teppichknüpfer ausgebeutet. Doch die Wahrheit nur zu dokumentieren reichte den Auftraggebern offenbar nicht. Auch in diesem Fall wurde das Bildmaterial manipuliert.
Mindestens sechs von zweiundzwanzig nachgewiesenen Fälschungen sollen bei „Stern-TV“ gelaufen sein. Nichts Ungenaues weiß man bis heute nicht. Denn der Fernsehsender und sein auf die perfekte Inszenierung von Glaubwürdigkeit gedrillter Chef, Günther Jauch, tun alles, um Nebelkerzen zu werfen. Sie geben sich als Opfer aus und ziehen ganz nebenbei die anderen Magazinmacher mit in den Fälschersumpf hinein.
Diese hilflose Flucht ist der zweite Akt der größten Fälscherstory in Deutschland. „Stern-TV“ sollte endlich in eigener Sache auspacken und die volle Verantwortung übernehmen.
Die manipulierten, als Dokumentation verkauften Bilder treffen den deutschen Journalismus härter als seinerzeit die gefälschten „Hitler-Tagebücher“. Unter den Spätfolgen dieser Fälschung hat der Stern noch heute zu leiden. Die jetzige Serienfälschung beweist: Hier geht es nicht um einen Einzelfall, sondern um ein fragwürdiges System der standardisierten Herstellung journalistischer Beiträge. Dieses System kann in den verschiedensten Spielarten ständig und überall angewendet werden. Für jedes Thema gibt es einen Beitrag, für jede Antwort eine Frage, für jeden das, was er sich gerade wünscht. Eskimos in Tansania? Kein Problem. Schlechte Arbeit für gutes Geld.
Dies ist nur möglich, weil mit dem Siegesfeldzug der kommerziellen Fernsehsender die journalistischen Sitten verludert sind. Ihre Programmphilosophie: Kein Skandal, der nicht noch ein bißchen aufgepeppt werden könnte. Schlimmer als der direkte Einfluß auf die Zuschauer durch die Verzerrung von Realität ist der indirekte Einfluß auf die Köpfe der Programmverantwortlichen in ARD und ZDF.
Die sogenannten Privaten haben erreicht, daß die Quote, der Marktanteil, das alleinige Beurteilungskriterium für Qualität geworden ist. Sie haben erreicht, daß die Boulevardisierung das gesamte Programm beherrscht. Wo ist der wesentliche Unterschied zwischen „ExclusivExplosivExakt“ auf der privaten Seite und „Brisant“ (vom MDR für die ARD) auf der vermeintlich öffentlich-rechtlichen Seite?
Hier wie da arbeiten private Produzenten, hier wie da werden die gleichen Stoffe der Boulevardzeitungen bebildert. Hier wie da geht es immer um das gleiche: Die Reizspirale immer schneller zu drehen und möglichst noch eine Umdrehung weiterzutreiben. Nur das, so die Annahme, bringt Quote, bringt Unterhaltungseffekte und Stimulanz, um den grauen Alltag vergessen zu machen.
Die Fälscherwerkstatt, die jetzt ausgehoben wurde, ist jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Von vielen Fälschungen werden wir nie erfahren. Etwa von den Fälschungen der Auslandskorrespondenten, die sogenannte Stringer „ihr“ Material beschaffen lassen oder es irgendwo ankaufen.
Nie erfahren werden wir von den (unfreiwilligen) Fälschungen, die über die internationalen Bildagenturen einwandern. Zu den Euro-Bildern, die in seriösen Nachrichtensendungen verkauft werden, gibt es oft nur ein paar spärliche Hinweise. Ob sie echt sind, weiß der Bearbeiter in den Nachrichtenredaktionen nicht. Seine einzige Bearbeitungsgrundlage sind die Agenturen, die er wiederum nicht überprüfen kann. Auch über die Echtheit der Gäste in der Talkshowflut sind mehr als Zweifel angebracht.
Diese Entwicklung wird noch dadurch verschärft, daß längst viele Mitarbeiter in den Medien ohne irgendeine Vorbildung in den Journalismus stolpern. Sie faseln von „stories“ und „news“, von „facts“ und „fashion“, viel mehr ist dann aber auch nicht.
Viele sind von den Privaten sozialisiert, aber nicht ausgebildet worden und bleiben dann bei den „seriösen“ öffentlich-rechtlichen Sendern. Dort treffen sie auf Exkollegen der Bild-Zeitung, die es mittlerweile mit entsprechenden Politprotektionen zum Chefredakteur gebracht haben, wie Wolfgang Kenntemich beim MDR. Die wiederum wollen Quote sehen, um zu überleben und um ihre Konzepte zu pushen.
Das heißt, ARD und ZDF sind längst keine Inseln der Seligen mehr. Sie sind mittlerweile nicht nur in den Chefetagen unterwandert oder zumindest angesteckt von dem Programm, das heißt Marketingbewußtsein der Privaten. Diese Form der Programmannäherung ist verheerend, weil damit auf Dauer das Herz des Systems getroffen ist, das per Gesetz auf die Allgemeinheit verpflichtet ist.
Bei den jetzt heiß diskutierten Fälschungen geht es nicht nur darum, wie solche Manipulationen künftig verhindert werden können. Da werden die Progammverantwortlichen, deren aktive Zeit meist lange zurückliegt, viele Sitzungen abhalten, bis sie zu halbherzigen Lösungen kommen werden. Am Ende wird es wohl eine schriftliche Dienstanweisung geben, wenn überhaupt.
Die Debatte um die TV-Fälschungen könnte jedoch auch eine heilsame Wirkung haben. Denn es geht auch um die Grundfrage des politischen Journalismus. Besinnen sich die Programmverantwortlichen und die Macher auf ihr Handwerk, das heißt auf saubere Recherche, eindeutige Belegführung und gesicherte Nutzung von Fakten und Bildern, oder dümpeln sie im seichten Boulevardjournalismus, der den Menschen Illusionen verkauft, sie aufreizt und sogar aufhetzt?
Wie schwer diese Entscheidung fällt, zeigt nicht zuletzt der öffentlich-rechtlich-private Vorzeigejournalist Günther Jauch, der sich nicht einmal zu einem eindeutigen Bekenntnis zu den eigenen Fehlern durchringen kann. Er weiß, was auf dem Spiel steht: seine journalistische Glaubwürdigkeit. In Wahrheit jedoch steht noch viel mehr auf dem Spiel: die Glaubwürdigkeit des gesamten Fernsehjournalismus. Nur bemerkt hat das die Branche offenbar noch nicht. Thomas Leif
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen