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Nur 14 Seiten der Anklage verlesen

■ Politbüroprozeß: Streit um Formalitäten

Berlin (taz) – Für Josef Hoch, den Vorsitzenden der 27. Großen Strafkammer, war es ein kleiner Erfolg. Egon Krenz, letzter Staats- und Parteichef der DDR, hingegen mußte eine Niederlage einstecken: Gegen alle Widerstände wurde gestern am sechsten Verhandlungstag im sogenannten Politbüroprozeß die Anklageschrift verlesen – allerdings nur die ersten 14 Seiten.

Es war ein Streit um Prozeßformalitäten. Wiederholt hatte sich Egon Krenz, einer der sechs angeklagten früheren Politbüromitglieder, auf den Standpunkt gestellt, „nicht der bundesdeutschen Gerichtsbarkeit zu unterstehen“. Das wollte er dem Gericht in einer persönlichen Erklärung vor Verlesung der Anklage vortragen.

Nach allerlei Anträgen und Beratungspausen setzte Richter Hoch sich durch. Zuletzt hatten die Verteidiger gerügt, die Anklageschrift enthalte haufenweise Schlußfolgerungen, „die in einem konkreten Anklagesatz nichts zu suchen haben“. Sie drohten mit einem Befangenheitsantrag gegen die Schöffen der Kammer, denn die würden mit der Verlesung der Anklage tendenziös beeinflußt. Auch das wurde zu Protokoll genommen, die Ankläger durften loslegen. In bis zu 66 Fällen wirft die Staatsanwaltschaft den sechs früheren Politbüromitgliedern vor, „gemeinschaftlich handelnd Menschen getötet zu haben, ohne Mörder zu sein“.

Als Mitglieder des „höchsten unkontrollierten Machtorgans der DDR“ hätten sie entscheidend an der Errichtung und dem Unterhalt des Grenzregimes an der innerdeutschen Grenze mitgewirkt. Dabei hätten sie die „Tötung und Verletzung Fluchtwilliger“ durch Selbstschußanlagen und Schußwaffeneinsatz „zumindest billigend in Kauf genommen“. Verstoßen hätten sie auch gegen ihre „Rechtspflicht, auf eine Humanisierung des Grenzregimes hinzuwirken“.

Dann ratterte die Staatsanwaltschaft den Klagesatz herunter: Erich Mückenberger (85, Vorsitzender der Parteikontrollkommission) 66 Fälle, Kurt Hager (83, Chefideologe) 62 Fälle, Horst Dohlus (70, Kaderleiter) 15 Fälle, Egon Krenz 8 Fälle. Günter Kleiber (64, Wirtschaftsexperte) und Günter Schabowski (66, Bezirkssekretär in Berlin) werden jeweils 6 solcher „unselbständigen Teilakte“ zur Last gelegt.

Nach 20 Minuten unterbrach Kurt Hager: „Ich fühle mich schlecht.“ Ein Arzt war nicht zugegen und die auf täglich zwei Stunden befristete Verhandlungsdauer fast verstrichen. Richter Hoch vertagte die Sitzung, die Anklage wird am 12. Februar weiter verlesen. Wolfgang Gast

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