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Die Stasi als Vaterfigur

■ 7.000 Jugendliche waren Inoffizielle Mitarbeiter der Stasi. Sie wurden gezielt in schwierigen Lebens- phasen angeworben. "Probleme juristisch und psychologisch nicht verarbeitet": Tagung am Wochenende

Als sie anfing, für die Stasi zu arbeiten, war sie noch ein Kind. In der 10. Klasse wurde sie angeworben und stellte seitdem ihr Leben in den Spitzeldienst. Sie nahm ein Studium auf, das sie eigentlich nicht interessierte. Sie ließ sich taufen, heiratete sogar kirchlich – alles auf Betreiben der Stasi. Sie bespitzelte ihre Jugendgemeinde, ihre KommilitonInnen, ihre Familie. Sie wagt es nicht, von ihrem damaligen zweiten Leben zu erzählen.

Ihre Geschichte ist exakt protokolliert. Mit einem Decknamen versehen, liegt sie zwischen Aktendeckeln in den Kellern der Gauck- Behörde. Wer sie lesen will, wird ihren richtigen Namen nicht erfahren. Die Gauck-Behörde schwärzt zum Schutz die Namen der jugendlichen Stasispitzel.

„Verstörte Gewissen – beschädigte Seelen – die Kinder- und Jugendpsychologie des MfS und ihre Folgen“ heißt eine Tagung, die an diesem Wochenende in Berlin stattfindet und die sich mit der fatalen Instrumentalisierung von Kindern und Jugendlichen durch die Stasi befaßt. Veranstalter der zweitägigen Konferenz, zu der 240 TeilnehmerInnen erwartet werden, sind die Evangelische Akademie Berlin-Brandenburg und die Heinrich-Böll-Stiftung in Zusammenarbeit mit den Landesbeauftragten für Stasiunterlagen Berlin und Mecklenburg-Vorpommern. Zwischen vier und sieben Prozent der Inoffiziellen Mitarbeiter der Stasi waren Jugendliche – insgesamt etwa 7.000 Schicksale. Mit ihrer Hilfe drang das Ministerium unsichtbar in die Jugendszene der DDR ein. Ihre Lieblingsobjekte waren die Kirche und die als gefährlich geltenden „negativ-dekadenten“ Jugendlichen (Punks, Skins, Heavys und „Tramper“). Später wurden auch in Musik- und Sportschulen gezielt Jugendliche angeworben, die ihre Mitschüler aus dem Reisekader bespitzeln sollten.

Von Psychologen auf die Besonderheiten im Umgang mit Jugendlichen und Kindern trainiert, kämpften die Stasimitarbeiter um das Vertrauen der Kinder. Sie boten sogar jugendlichen Straftätern die Zusammenarbeit als Wiedergutmachung an.

Die Tagung versucht sich einem Thema zu nähern, das sowohl „psychologisch als auch juristisch noch überhaupt nicht verarbeitet ist“, erklärt Rudi Pahnke, Studienleiter der Evangelischen Akademie Berlin-Brandenburg. „Wir haben es hier mit Instrumentalisierungen schlimmster Art zu tun.“ Die Kinder und Jugendlichen wurden bewußt in der Phase der Ablösung von ihren Eltern durch die Stasi angeworben. Das MfS leitete in ihren Köpfen einen „Regressionsprozeß“ ein, so Pahnke, zwang sie wieder in die Abhängigkeit und machte sich so zur Vaterfigur für die Jugendlichen. „Den Sprung in die Selbständigkeit haben die jungen Leute nie getan.“

Die Psychologen aber, die ihr Wissen dem Machtapparat der ehemaligen DDR zur Verfügung gestellt hatten, können rechtlich bisher nicht verfolgt werden. „Es ist ein unerträglicher Gedanke, daß sie teilweise immer noch als Therapeuten arbeiten“, sagt Pahnke. Die Tagung will Anstoß geben, sowohl die juristische als auch die psychologische Verarbeitung dieser Problematik voranzutreiben. „Wir müssen uns vor allem bemühen, den Jugendlichen Hilfestellungen zu geben, damit sie ihre Vergangenheit bewältigen können“, hieß es. Silke Stuck

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