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„Metromaus“ frißt Musenmarmor

Stolpersteine der Antike: Bei der Wiederbelebung Athens machen sich Verkehrsplaner, Unternehmer, Ökologen und Archäologen gegenseitig den Boden unter den Füßen streitig  ■ Von Uwe Wandrey

Smog, Lärm und Gerempel. Kein Platz für Paare und Passanten im Chaos von Athen. Touch- and-Go. War's nicht so?

Doch inzwischen atmet es sich in der Innenstadt ein wenig leichter. Seit April vergangenen Jahres gehört das autogeplagte Gassenlabyrinth zwischen Sindagma, Omónia und der Pláka endlich den Fußgängern und ein paar kleinen Linienbussen. Lieferanten dürfen das verkehrsberuhigte Dreieck Trigono nur zur frühen Morgenstunde befahren. Grund genug, sich einmal umzusehen.

Ich verlasse die bisher einzige Metrolinie am Omóniaplatz und treibe in der Menge die Athinásstraße hinauf. Der spärlich begrünte, geschäftige Boulevard zwischen rissigen Häuserfassaden bildet die westliche Flanke des Trigono. Plötzlich ein langer Bauzaun. Hier soll ein unterirdischer Parkplatz entstehen. Okay, sollen sie doch ihre Autos in der Erde bunkern. Doch das wird noch dauern. Denn erst einmal stochern hier noch die Archäologen in der Erde. Wie ich höre, nach Resten eines antiken Friedhofes. Wenn in Hellas herauskommt, daß Bauherren auf Antikes gestoßen sind, können Archäologen ihnen das Grab schaufeln. Unser Bunkerbauer allerdings braucht nur zu warten, bis an Grubenrand und -boden alles sortiert und registriert ist.

Auch an anderen Plätzen der Stadt machen sich Verkehrsplaner, Unternehmer, Ökologen und Archäologen gegenseitig den Boden unter den Füßen streitig. Denn in ihm lauern die Stolpersteine der Antike. Zu schnell hatte man die glorreiche Vergangenheit asphaltiert. Die Metropole war bis in die dreißiger Jahre noch beschaulich, begrünt und nur von knapp einer Million Menschen bewohnt. In den fünfzig Nachkriegsjahren wuchs die Bevölkerung durch Landflucht und die Heimkehr von Auslandsgriechen rasant auf vier Millionen. Heute leben in Athen etwa die Hälfte aller Inlandsgriechen.

Einen Verkehrsboom brachten die Achtziger: Innerhalb von nur vier Jahren stieg die Zahl der Kraftfahrzeuge von 800.000 auf 1,2 Millionen. Häuser und Fahrbahnen erschienen den Stadtpolitikern lange Zeit dringlicher als Fußwege, Parks und Straßengrün.

Auf dem trostlos scheinenden Boden wären schon „Oasen“ gediehen, wenn allein die grünen Erneuerer im Ministerium für Umwelt und Raumordnung das Sagen gehabt hätten. Immerhin, langsam wächst ihr Einfluß. Bei ihren Wiederbelebungsversuchen Athens haben die Umweltpolitiker nicht nur die Katalysatorpflicht für alle neuzugelassenen Kraftfahrzeuge und eine funktionierende Smogverordnung durchgesetzt, die bis zum Fahrverbot reicht. Jetzt gehen sie auch ans Eingemachte: Privat- Pkws, die schon jetzt nur jeden zweiten Tag in den Innenbezirk dürfen, sollen dort bald völlig verschwinden. Busse und neue Metrolinien werden dann allein den Nahverkehr übernehmen.

Ein hehres Ziel. Erstens pflegen die Griechen ihre Bequemlichkeit, zweitens sonnen sie sich gern in der beredten Menge. Und drittens geht auch der schmalen Stadtkasse ständig die Luft aus. Weil es aber auch den Athenern an immer mehr Smogtagen schier den Atem verschlägt und Brüsseler Gelder fließen, kommt jetzt Grünland in Sicht: An allen Ecken und Enden wird seit fast drei Jahren für die neue Metro gerammt und gebaggert. Doch kaum hatte die „Metromaus“, das Tunnelbohrgerät, sich die ersten Meter vorgenagt, da waren mal wieder die Bremser vor Ort: wegen eines antiken Tempels.

Wenn es um die Rettung alter Bausubstanz und die Beruhigung der Innenstadt geht, erhitzen sich die Gemüter. Drei Parteien rangeln hier um Terrain: die Umweltser des Ministers für Raumordnung, die Bewahrer des Kulturministers und die größeren Geschäftsleute der Innenstadt, deren Lobby wiederum im Athener Rathaus antichambriert.

Mit den neuesten Raumordnungsplänen scheinen die Interessen miteinander harmonisiert: Da das auf Probe eingerichtete Fußgängerdreieck offenbar nicht zu Umsatzverlusten geführt hat, soll es nicht nur bleiben, sondern sogar ausgeweitet werden. So geschieht es bereits in der autofreien Hauptgeschäftsstraße Érmou, der Südflanke des Dreiecks, und einigen ihrer Seitengassen sowie in Psirri, dem Lagerschuppenviertel von Monastiraki westlich der Athinás.

Rasche Zustimmung fanden auch die gemeinsamen Aktivitäten der Ministerialen von Raumordnung und Kultur: Sie gelten der „Vereinigung der archäologischen Stätten“ Athens. Darunter fällt die bereits begonnene Restauration 17 neoklassizistischer „Palazzi“, die im Bezirk Theseion liegen und Wohnhäuser bleiben sollen. Außerdem werden zwei Gebäude im Bezirks Kerameikos renoviert und stehen danach der Asiensammlung des Benáki-Museums zur Verfügung. Auch der ungestalte Straßenzug der Piräus wird umgewidmet. In den Mauern ihrer Fabrikruinen, giftgasprustenden Essen und Manufakturen sollen sich im dritten Jahrtausend, wie schon heute im alten Gaswerk (Gázi), Kulturproduzenten entfalten. Zaghaft sprießen an der Piräus schon die ersten Straßenbäumchen.

Von hier ist es nicht weit zur Pláka. Sie hat Türkenherrschaft, Freiheitskrieg, Bayernherrschaft und so manchen Bodenspekulanten überlebt. Trotz der vielen Touristen, der unermüdlichen Werber vor den Restaurants, trotz Talmi und Tamtam: Durch die Gassen des Stadtteils am Fuße der Akropolis atmet noch immer eine kleinstädtische, heimische Atmosphäre. Die Straße Adrianóu ist – wie fast die ganze Pláka – bereits seit Jahren ein autofreier Museumspfad durch die Antike.

Die Pláka läßt schon heute die Atmosphäre der „vereinigten archäologischen Stätten“ ahnen: hier unten ein Tempelchen, darüber eine Souflaki-Station in hübschen Design, nebenan, über dem Gelaß einer freigelegten Olivenmühle, ein kuschelig elegantes Pelz- oder Schmuckgeschäft.

Der städtebauliche Kompromiß entlastet zwar die Innenstadt, ihre unverwechselbare urbane Architektur jedoch wird geschliffen, das Flair der verstaubten billigen Basare und der schummrigen Kafeneions sich für immer verflüchtigen. Viele Straßenzüge werden schlicht zu jenen kundenfangenden Konsumkanälen ummöbliert, welche wir hierzulande Fußgängerzonen nennen und in denen fliegende Händler keinen Platz mehr finden. Den Trend bekamen vor wenigen Monaten bereits die Beschicker des Pontier- und Zigeunermarktes an der Érmou westlich von Monastiraki zu spüren: Ihr Sonntagsmarkt wurde unterbunden, angeblich wegen einer Schießerei zwischen Schutzgelderpressern.

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