Ein Pappkarton voll unbrisantem Allerlei

■ Prozeß wegen Spionage für die Stasi gegen Ex-CDUler Wolfgang Jäger eröffnet

Großgeworden ist Wolfgang Jäger in Stralsund und in Zeiten, da die Mauer noch nicht stand und man eigentlich auch ohne Studium noch etwas werden konnte. Einen Studienplatz wollte man ihm, dem Sohn eines Lehrers in der DDR nicht geben. Deshalb zog der heute 57jährige 1957 in den Westen und begann in Hamburg ein Betriebswirtschafts- studium, das 1970 mit der Zwangs- exmatrikulation endete. Seine Tätigkeit für die Staatsicherheit der DDR endete erst im Januar 1990. Gerade begonnen hat gestern sein Prozeß vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit.

Einen Pappkarton voller Stasi-Unterlagen hatte der Strafsenat griffbereit auf einen Stuhl gestellt. Und der Beisitzende Richter griff häufig zu – immer dann, wenn der Angeklagte sich gar nicht oder ganz anders zu erinnern vermochte, als das Gericht es nach Aktenkenntnis für richtig hielt. Absichtliche Erinnerungslücken unterstellte dem Angeklagten jedoch niemand, weil seine Berichte an die Stasi bis zu 35 Jahre zurückliegen. Aber auch und vor allem, weil es sich zum überwiegenden Teil dabei um Belanglosigkeiten handelte. An so etwas, so der Vorsitzende, könne sich niemand dauerhaft erinnern.

In seiner menschenverachtenden Sammelleidenschaft machte das DDR-Ministerium für Staatssicherheit auch vor Nebensächlichkeiten nicht Halt. Viele der Informationen, die Jäger in präparierten Aktentaschen, „scheußlichen Kerzenständern aus Holz“ oder Krawatten „nach drüben“ schaffte, hätten auch der westdeutschen Tagespresse entnommen werden können. Jäger verriet überdies mäßig interessante Interna diverser studentischer Gremien und Organisationen. 1970 ging der mittlerweile selbständige Reisekaufmann in die CDU und konnte später als Harburger Bezirksabgeordneter zumindest ab und an von Gesprächen mit Bundespolitikern berichten.

Bei seinem ersten Besuch in der DDR zwei Jahre nach seiner Ausreise habe ihn ein Stasi-Mitarbeiter angeworben. Der galt als Bewährungshelfer seiner älteren Schwester, einer Ärztin, die wegen zweier „Wirtschaftsvergehen“ verurteilt worden war. Sie hatte vier in Ostberlin gekaufte Reiseschreibmaschinen nach Westberlin gebracht und später eine Erbschaft von 250 West-Mark schwarz getauscht. Zu dreieihalb Jahren Haft sei sie deshalb verurteilt worden – die Hälfte der Zeit auf Bewährung. Und die, so soll der Stasi-Mitarbeiter gedroht haben, sei gefährdet. Und dann habe er noch vom Frieden gesprochen, sagte Jäger. „Und beim Frieden gibt es für mich keine Meinungsverschiedenheiten.“

Jäger erklärte sich zur Mitarbeit bereit. Er habe jedoch nie Vertrauliches weitergegeben, beteuerte er gestern. Auch über Fluchtpläne von DDR-Bürgern, von denen er als Student erfuhr, will er die Stasi erst dann informiert haben, „wenn alles gelaufen war“. Eine Beteuerung, die nach Ansicht des Vorsitzenden keinen Sinn macht. Zur Erörterung von Sinn, Zweck und Wahrheitsgehalt hat das Gericht fünf weitere Verhandlungstage anberaumt. Stefanie Winter