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Pekinger Drohungen gegenüber Taiwan

Freie Präsidentschaftswahlen im März  ■ Von Jutta Lietsch

Niemals werden wir es zulassen, daß auch nur ein Meter unseres nationalen Territoriums vom Vaterland abgetrennt wird. Unter keinen Umständen werden wir es erlauben, daß antichinesische Kräfte sich in unsere inneren Angelegenheiten einmischen“, warnte Chinas amtliche Armeezeitung in diesen Tagen.

Immer dunkler klingen die Pekinger Drohungen gegen die Brüder und Schwestern in der „abtrünnigen Provinz“ Taiwan. Die Botschaft ist klar: Wenn ihr Euch für unabhängig erklären wollt, dann werden wir das notfalls durch einen militärischen Einmarsch zu verhindern wissen. Die Geduld der Pekinger Parteiführung werde nicht mehr lange anhalten: Fast fünfzig Jahre, nachdem die Nationalisten vor den Kommunisten nach Taiwan flohen und dort 1950 die „Republik China auf Taiwan“ ausriefen, heißt es nun in der Armeezeitung: „Eine Politik der friedlichen Wiedervereinigung zu verfolgen bedeutet nicht, daß die Wiedervereinigung ewig herausgezögert wird.“

Immer bedrohlicher klangen auch die Berichte aus US-Geheimdienstkreisen, die jetzt in amerikanischen und Hongkonger Zeitungen erscheinen: Rund 400.000 Soldaten (anderswo ist von 200-300.000 die Rede) seien bereits in der chinesischen Küstenprovinz Fujian zusammengezogen worden. Ein großes Manöver in der Meerenge zu Taiwan stehe unmittelbar bevor, hieß es in der Washington Post vom Montag. Rund 40 Kriegsschiffe und mehr als 100 Kampfflieger sollten an der Übung teilnehmen. Und gestern meldete die Hongkonger Zeitung Sing Tao, zwei chinesische Topmilitärs seien in Fujian eingetroffen, um das Kommando des Manövers zu übernehmen. Dabei handele es sich um Zhang Wannian, den Vize- Chef der einflußreichen Zentralen Militärkommission und ein Mitglied des Generalstabes.

Erst kürzlich wollte die New York Times wissen, daß China nach den taiwanesischen Präsidentschaftswahlen vom 23. März die Insel täglich mit einer Rakete attackieren wolle. Auch wenn dies absurd erscheint, mag doch niemand ganz ausschließen, daß solche Überlegungen im chinesischen Militär kursieren. Schließlich haben beide Seiten reiche Erfahrungen in symbolischer Kriegsführung. Festlandschinesische und taiwanesische Soldaten beschossen sich in den fünfziger und sechziger Jahren zeitweise rhythmisch mit Granaten und Propagandamaterial: im Wechsel an geraden und ungeraden Tagen.

Nach den jüngsten Meldungen über den Truppenaufmarsch ließ das US-Militär durchsickern, daß erstmals seit vielen Jahren wieder ein amerikanisches Kriegsschiff durch die Meerenge von Taiwan gefahren ist – eine deutliche Warnung gegenüber China. Der Sprecher des Außenministeriums in Peking bezeichnete das Manöver als „ganz normale Übung“. Daß diese Demonstration militärischer Stärke aber gerade jetzt stattfindet, ist nach Ansicht taiwanesischer PolitikerInnen kein Zufall: Bei den ersten demokratischen Präsidentenwahlen hat der gegenwärtige Amtsinhaber Lee Teng-hui gute Chancen, seinen Posten zu behalten. Und Lee ist der von Seiten Pekings gegenwärtig bestgehaßte Taiwanese. Er gehört zwar der herrschenden nationalistischen Partei Kuomintang an, die die Insel bis weit in die achtziger Jahre per Kriegsrecht regierte und die jeden, der eine Unabhängigkeit vom Festland forderte, ins Gefängnis warf. Doch obwohl er und seine Partei die Wiedervereinigung immer noch als unantastbares Ziel hochhalten, fürchtet die Regierung in Peking, daß sie dies nur aus taktischen Gründen tun.

Mit großem Widerwillen mußten die Kommunisten seit Ende der achtziger Jahre mitansehen, wie die stets als reaktionäre Clique betrachtete Kuomintang zuließ, daß sich Oppositionsparteien gründeten. Die einst aus China geflohenen „Mainlanders“, die jahrzehntelang mit eiserner Hand über die lokale Bevölkerung herrschten, wurden alt und verloren immer mehr Einfluß. Die wachsende Mittelschicht der wirtschaftlich aufstrebenden Inselrepublik forderte und bekam die demokratische Öffnung. Millionen TaiwanesInnen reisten in der Folge nach China – und kamen bestürzt zurück. Eine Wiedervereinigung mit diesem rückständigen und fremd gewordenen „Mutterland“ fanden vor allem jüngere InselbewohnerInnen gar nicht mehr attraktiv. Während die oppositionelle Demokratische Volkspartei ganz offen die Unabhängigkeit Taiwans anstrebte, setzten immer mehr Mitglieder der regierenden Kuomintang weiter auf den Status quo: Wiedervereinigung ja, aber erst später.

Zu den hervorragenden Kräften dieser Status-quo-Politiker zählt auch Präsident Lee. Er hat zum großen Ärger Pekings in den letzten Jahren immer wieder relativ erfolgreich versucht, die diplomatische Isolierung seines Landes zu durchbrechen. Der geschickten Arbeit der Taiwan-Lobby im US- amerikanischen Kongreß war es geschuldet, daß Lee im vergangenen Jahr trotz heftigster Proteste und Warnungen aus der VR China zu einem „Privatbesuch“ in die USA reisen durfte.

China habe offenbar „Todesangst“ vor demokratischen Wahlen, erklärte der taiwanesische Präsident, als die Berichte über die Manöver erschienen. Daß die Führung in Peking an einen gewissen Erfolg ihrer Einschüchterungskampagne glauben kann, hängt mit den Erfahrungen der Parlamentswahlen vom Dezember zusammen. Auch damals hatte Peking militärisch gedroht und Raketen in die Nähe der Insel abgefeuert. Deshalb, so glaubt man in Peking, erhielten jene Kandidaten wieder mehr Stimmen, die sich explizit für eine baldige Wiedervereinigung aussprachen.

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