: Dayton steht auf dem Spiel
■ Nach Mostar: EU muß auf Kroatien Druck ausüben
Die Übergriffe nationalistischer Kroaten in Mostar auf EU-Administrator Hans Koschnick können kaum mehr überraschen. Viel zu lange ließen Bonn und die anderen Regierungen der Europäischen Gemeinschaft die Unterstützung dieser Fraktion der Kroaten, die nicht mit den Muslimen zusammenleben wollen, durch die Regierung in Zagreb zu. Und fielen damit ihrem eigenen Administrator Koschnick in den Rücken.
Wenn Außenminister Kinkel nach den gestrigen Ausschreitungen ein „besorgtes“ Telefonat mit Präsident Tudjman führte, ist dies viel zuwenig, viel zu spät und wahrscheinlich ohne jede Wirkung. Eindeutige Signale und notfalls Sanktionsmaßnahmen der EU gegen Zagreb wären schon längst fällig gewesen. Die nationalistischen Kroaten Mostars, darunter der Bürgermeister des Westteils, Mijo Brajković, haben die Versöhnungsbemühungen von Koschnick ständig unterlaufen und das Klima in der Stadt systematisch angeheizt.
Die gestrigen Gewalttätigkeiten waren eine zwangsläufige Folge dieser Entwicklung. Wobei die nationalistischen Kroaten offensichtlich damit gerechnet hatten, das Dekret des EU-Administrators zur Einteilung der Stadt in Verwaltungsbezirke werde aufgrund des zuvor ausgeübten Drucks auf Koschnick mehr zu „ihren Gunsten“ ausfallen – das heißt, die Trennungslinien zwischen den beiden Volksgruppen verstärken. Entsprechende Befürchtungen gab es im Vorfeld von Koschnicks Entscheidung auf seiten der Muslime.
Wenn Koschnick jetzt die Brocken hinschmeißt, wäre dies nur zu verständlich.
Die Ereignisse in Mostar weisen gewisse Parallen zu den jüngsten Entwicklungen in Sarajevo auf, wo die von Momcilo Krajišnik sowie nach wie vor von Radovan Karadžić geführten Serben die Festnahme mutmaßlicher serbischer Kriegsverbrecher durch die bosnischen Regierungsbehörden zum Vorwand für neue Drohungen und eine Verschärfung der Lage nutzen. Dabei standen die Verhaftungen völlig im Einklang mit dem Dayton-Abkommen und den Statuten des Internationalen Kriegsverbrechertribunals.
In Mostar, Sarajevo und in Srebrenica, wo statt Aufklärung der Kriegsverbrechen nach wie vor und unbehindert durch die internationale Gemeinschaft Vertuschung und Beweisvernichtung stattfinden, wird sich das Schicksal des Dayton-Abkommens entscheiden. Möglicherweie schon in den nächsten Wochen. Andreas Zumach, Genf
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